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Müssen Bauern vor der Aussaat für Patente zahlen?

Erste patentierte Gentech-Pflanze in der Schweiz/Teilnehmer des „Gattastrophe“-Kongresses gegen internationales Recht auf geistiges Eigentum  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Der Geruch frischer Kräuter zieht über die Alpenwiesen. „Es ischt der Duft der blühenden Kamille, der in der Nase kitzelt“, weiß Kräuterbauer Peter Lendi die Gerüche zu unterscheiden. Im kargen Onsernone-Tal in der Schweiz baut er seit Jahr und Tag Heilplanzen und Gewürzkräuter an. „Biologisch“, betont der Präsident der eidgenössischen Bio-Kräuterbauern. Denn nur die höchste Qualität ist gut genug für Spitzentees und Medikamente, die aus seinen Kräutern fabriziert werden. „Das Geschäft mit der Gesundheit läuft im Moment prima“, sagt der Kräuterspezialist.

Nicht mehr lange allerdings, denn die Agro- und die Pharmaindustrie wollen sich jetzt auch die Alpentäler einverleiben.

Die deutsche Pharmafirma Degussa-Asta Pharma hat vor zwei Jahren eine neue Kamillensorte unter dem Namen „Manzana“ patentieren lassen. Anders als herkömmliche Kamille hat die Neuzüchtung einen regelmäßig hohen Wirkstoffgehalt. Nicht das Produkt macht dem Kräuterbauern zu schaffen, sondern das Patent. Es ist schließlich in der Schweiz das erste Patent auf eine Pflanzensorte. „Wenn wir das nicht stoppen, werden wir zu bloßen Handlangern degradiert.“

Die Bauern würden total abhängig von einigen Großkonzernen, die ihnen patentiertes Saatgut zu vertraglich festgelegten Bedingungen zum Anbau überlassen und anschließend die Ernte abkaufen würden. Mit seinem Protest steht Lendi nicht allein. Schließlich sind Bauern, Züchter und Konsumenten weltweit von der Offensive der Agro-Pharma-Multis betroffen.

Im Vergleich zur Pestizidherstellung ist die Konzentration im Saatgutbereich, weltweit gesehen, noch recht bescheiden. Während bereits vor zehn Jahren fast die gesamte Pestizidproduktion von einem Dutzend Firmen kontrolliert wurde, hatten die Multis zur selben Zeit im Saatgutbereich nur einen Anteil von rund 20 Prozent. Diese Lücke zu schließen, sollen vor allem gentechnologisch hergestellte Pflanzen helfen. In Anlehnung an die „Grüne Revolution“, mit der in den 70er Jahren die Anbaumethoden vor allem in der Dritten Welt revolutioniert wurden, sollen nun auch gentechnisch hergestellte Pflanzen weltweit vermarktet werden.

Wirtschaftlich rentabel wird dies jedoch nur, wenn auch die Patente auf ihre Produkte weltweit anerkannt werden. Deshalb drängt die Industrielobby seit Jahren sowohl in der EG als auch bei den gestern vorerst gescheiterten Gatt-Verhandlungen darauf, daß europa- und weltweit Patentabkommen geschlossen werden, die auch „lebende Erfindungen“ schützen. Da gentechnisch manipulierte Mikroorgansimen oder deren Produkte in vielen Ländern heute schon patentierbar sind, soll dies nun auch auf gentechnisch veränderte Pflanzensorten und Tierarten zutreffen.

Dagegen wehren sich aber nicht nur die Entwicklungsländer, allen voran Indien. Auch in den Industrieländern gibt es große Widerstände. Züchter-, Bauern- und Umweltorganisationen halten die bereits bestehenden diversen nationalen und internationalen Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums für ausreichend. Der Konflikt zieht sich quer durch die Institutionen der EG und die 107 Gatt-Delegationen.

Gewichtigster Gegner der Patentlobby in Europa ist der Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) aus 18 Industrieländern. Den Züchtern steht das Wasser bis zum Hals. In den 60er und 70er Jahren hatten die Agrochemiemultis bereits einen Großteil der kleinen und mittleren Zuchtfirmen aufgekauft, um „landwirtschaftliche Produktionsmittel und lebendes Reproduktionsmaterial“, wie Pflanzen und Tiere in der Verwertungssprache genannt werden, „optimal aufeinander auszurichten“. Mit den im Rahmen der EG und Gattverhandlungen vorbereiteten Patentregeln im Rücken, so befürchten die verbliebenen unabhängigen Züchter, würden die Multis zum letzten Übernahmegefecht blasen.

Denn Nutzpflanzen und Tiere, die gentechnisch aufgeladen wurden, gehören dann nicht mehr den Bauern, sondern sind Eigentum der PatentinhaberInnen. Auch Züchter und Bauern würden Saatgut, Pflanzen und Tiere verkaufen, so der Agrarexperte bei den Euro-Grünen in Brüssel, Hannes Lorenzen. Dabei würden sie jedoch nicht die Urheberschaft für eine ganze Pflanzensorte oder Tierrasse und die daraus hergestellten Lebensmittel und Produkte beanspruchen. Die Verwendung geschützten Saatgutes durch Bäuerinnen und Bauern für den Eigenbedarf oder durch andere ZüchterInnen für die Weiterzüchtung werde von dem Sortenschutz nicht berührt.

Auch durch das Sortenschutzabkommen sei allerdings bereits eine gewisse Abhängigkeit entstanden, weil damit vor allem Hybridsorten gefördert werden, die die Bauern zum jährlichen Neueinkauf des Saatgutes zwingen. In Zukunft müßten die Bauern aber sogar Lizenzgebühren zahlen, wenn sie das eigene Erntegut für die Aussaat im nächsten Jahr verwenden wollten. Außerdem würde „die Patentfähigkeit von Lebewesen den Anreiz erhöhen, sie zu kommerziellen Zwecken genetisch zu verändern“, befürchtet Hannes Lorenzen. Dadurch würden aber vor allem Tiere noch stärker zu reinen Produktionsanlagen degradiert. Außerdem würde die Zahl der Freisetzungen von gentechnisch manipulierten Organismen zunehmen.

Deshalb forderten die FreihandelskritikerInnen auf ihrem Gegenprogramm zu den offiziellen Gatt- Verhandlungen gestern in Brüssel, daß die Gatt-Regeln für geistiges Eigentum auf die Kontrolle von Plagiaten beschränkt werden sollten. Diese Kritik ging allerdings im allgemeinen Streit der Freihandelsdelegationen um den Abbau der Agrarsubventionen unter. Deswegen konnte man sich auch nicht auf eine einheitliche Formel im Umgang mit den „handelsbedingten Rechten auf geistiges Eigentum“ einigen.

Die „Trips“ waren zum ersten Mal Thema bei den Gatt-Verhandlungen. Dabei ging es nicht nur um gentechnische Erfindungen für die Landwirtschaft oder Pharmazeutika. Gestritten wurde vor allem über Urheberschaftsrechte auf Modeuhren und Designer-T-Shirts, die zwar in den Industrieländern erfunden, in den Schwellenländern aber unter Umgehung der Patentgebühren produziert und verhökert werden. Dadurch gehen den Westfirmen jährlich nach eigenen Angaben zehn Milliarden Mark durch die Lappen.

Trotz der gemeinsamen Interessen der Industrienationen gegenüber der Dritten Welt verliefen die Diskussionsfronten bei Gatt kreuz und quer: Zwar traten die Industrieländer, allen voran die EG und die USA, gegenüber den Entwicklungsländern als Einheit auf, gerieten sich aber untereinander um so heftiger in die Haare über die Frage, ob US-amerikanischer Sekt in Europa als Champagner etikettiert verkauft werden darf.

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