piwik no script img

Die doppelte Front

■ Der palästinensische Regisseur Michel Khleifi im Haus der Kulturen der Welt

Der palästinensische Regisseur Michel Khleifi hätte unter anderem den Friedensnobelpreis verdient. Von den zahlreichen palästinensischen Beiträgen beim diesjährigen arabisch-afrikanischen Filmfestival in Tunis, propagandistischen Dokumentarfilmen aus dem Intifadakampf (Kriegsbilder, unterlegt mit suggestiver Musik und der deutlichen Intention der Ästhetisierung des Krieges), hob sich Michel Khleifis Film Cantiques de pierres (Lied der Steine) durch seine die palästinensische wie israelische Sichtweise vermittelnde Darstellung wohltuend ab. Eine einfache Spielfilmhandlung zeigt die Rückkehr einer Journalistin nach Palästina und den Versuch ihrer Wiederannäherung an ihr Volk. Sie will keine soziologische Studie zum Thema »Opfer« anfertigen, das sie für spezifisch für das Wesen ihres Volkes hält. In diese Spielfilmhandlung eingeschnitten sind Dokumentaraufnahmen aus dem Intifadakampf. Khleifi läßt Palästinenser über ihre Opfer berichten, zeigt daneben jedoch auch Aufnahmen einer israelischen Peace-Now-Demonstration.

1988 erhielt Michel Khleifi für seinen Film Noces en Galilee (Hochzeit in Galiläa) in Tunis den ersten Preis. Dieser Film zeigt eine palästinensische Hochzeit, für die die Ausgangssperre unter der Bedingung aufgehoben wird, daß die israelische Besatzungsmacht bei den Hochzeitsfeierlichkeiten zugegen sein kann. Dieses Zugeständnis bringt dem Brautvater die erbitterte Gegnerschaft der »Militanten« ein. Der von ihnen geplante Anschlag gegen die israelische Miliz wird von einem der Alten mit dem Hinweis auf die sinnlose Eskalation des Blutvergießens vereitelt. Der Film ist gleichzeitig eine harte Auseinandersetzung mit der autoritären arabischen Männergesellschaft — der Bräutigam weigert sich, seine Braut zu entjungfern, nur um der Sitte und dem Vater Genüge zu tun. Damit die Hochzeitsgesellschaft, die erst nach Anblick des rot gefärbten Leintuchs das Haus zu verlassen bereit ist, dennoch endlich aufbrechen kann, entjungfert sich die Braut selbst.

Der am Samstag im Haus der Kulturen der Welt gezeigte Film La Mémoire fértile (Das fruchtbare Gedächtnis) von 1980 thematisiert die »doppelte Front«, wie sie sich aus der Lage der Palästinenser heutzutage für die Frau ergibt: die ihr abverlangte Solidarität mit ihrem Volk auf der einen Seite, ihre Unterwerfung unter die äußerst rigorose Tradition auf der anderen Seite. In dokumentarischen Bildern läßt Khleifi mehrere Frauen ihre unterschiedliche Lebensweise und die damit verbundenen Konflikte erzählen. Verbittert berichtet eine ältere Frau über ihr von den Israelis zerstörtes Leben. Weil sie ihr ihr Land geraubt haben, mußte sie in der Fabrik arbeiten gehen; weil sie ihr ihren Mann erschossen haben, mußte sie, 24jährig Witwe geworden, die zahlreichen Kinder allein durchbringen. In ihrer Verbitterung beschuldigt sie die Nachbarin, sich nach dem Tod ihres Mannes, 26jährig, erneut verheiratet zu haben... Ebenso unnachgiebig lehnt sie jedes mögliche Entschädigungsangebot der Israelis ab. Sie will das enteignete Land zurück, sie beansprucht ihr Recht und das Stück Boden, das sie über 20 Jahre bearbeitet hat — auch wenn ihr ihr Sohn wiederholt entgegnet, daß es dieses Recht, auf das sie pocht, gar nicht gibt. Dazwischen erzählt eine jüngere Frau, eine geschiedene und alleinlebende Schriftstellerin, von ihrer Distanz zur Gesellschaft und von dem ermüdenden Kampf um Anerkennung ihrer Lebensform. Während die eine Frau ihre erneute Heirat als eine gewisse Linderung der Zwänge des Witwendaseins beschreibt, bevorzugt die Schriftstellerin das Alleinsein trotz der damit einhergehenden Isolation. Die Freiheit hat ihren Preis — Michel Khleifi zeigt in jedem Fall die Ambivalenz der Wahl in dieser die Frau aufgrund der äußeren Bedrohung noch enger einbindenden Gesellschaft. Seine beiden neueren Filme werden im Januar im Haus der Kulturen der Welt zu sehen sein, der Regisseur selbst wird am 20. Januar anwesend sein. Michaela Ott

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen