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»Wie viele Betriebe können Chance nutzen?«

■ Interview mit dem Chef der Berliner Treuhand-Niederlassung, Helmut Coqui/ An wen sollen Eckkneipen verkauft werden?

taz: Herr Coqui, wie viele Betriebe unterstehen der Treuhand-Niederlassung Berlin?

Helmut Coqui: Es handelt sich dabei um 650 Betriebe, wobei rund 100 wegen ihrer Größe von der Zentrale geführt werden.

Die Aufgabe der Treuhand ist es, die ehemaligen VEBs zu verkaufen. Reichen denn Beteiligungen beziehungsweise sogenannte Joint-ventures nicht aus, um den Betrieben das überlebensnotwendige Know- how zu liefern?

Beteiligungen hätten den Nachteil, daß die Treuhand mit lauter Minderheitsbeteiligungen in den nächsten 40 Jahren aktive Vermögensverwaltung betreiben müßte, ohne einen bestimmten Nutzen für die Firmen darzustellen. Ich kann nicht sehen, warum eine Mercedes- Beteiligung von 100 Prozent schlechter sein soll als eine von 70.

In den alten Bundesländern ist die öffentliche Hand an Betrieben sehr wohl beteiligt.

Natürlich halten in vielen Ländern sowohl die Kommunen als auch die Bundesregierung Anteile. Es wäre aber schwierig nachzuweisen, daß Betriebe mit einer Staatsbeteiligung erfolgreicher sind als Betriebe ohne Staatsbeteiligung. In vielen Fällen sieht es wohl eher andersherum aus.

Nach welchen Kriterien werden die Betriebe verkauft?

Nehmen Sie zum Beispiel die vielen kleinen Eckkneipen, die bisher der staatlichen Handelsorganisation HO gehörten. Da gibt es etwa die Möglichkeit, alle Eckkneipen denjenigen Wirten zu verkaufen, die sie bisher betrieben haben. Dann gäbe es die andere, generelle Linie, die besagt, daß die jeweilige Eckkneipe an den geht, der dafür den höchsten Betrag zu zahlen bereit ist. Doch wenn man sich das genauer ansieht, wird man feststellen, daß weder die eine noch die andere Linie generell sinnvoll ist. In der Öffentlichkeit wird natürlich die erste Möglichkeit als die wesentlich bessere angesehen. Doch wenn andere wesentlich mehr bieten, dann muß man natürlich überlegen. Schließlich hat der derzeitige Eigentümer Treuhand die Verpflichtung, das Volkseigentum nicht zu verschleudern, sondern sinnvoll zu verwerten. Gleiches gilt auch für Betriebe. Wenn alle anderen Voraussetzungen gleich sind, dann zählt natürlich das höhere Gebot.

Nun sind Eckkneipen im Gegensatz zu den meisten Industriebetrieben Ost-Berlins sehr gutgehende Einrichtungen.

Das ist sicher richtig. Bei vielen Betrieben ist es nicht oder noch nicht absehbar, welche mittelfristigen Lösungen es für sie überhaupt geben kann. Das hat nicht nur mit der Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Es kann sich ganz einfach um einen Betrieb handeln, dessen Aufgabe inzwischen entfallen ist. So zum Beispiel bei der Zentrale der HO. Wenn deren sämtliche Läden weg sind, fragt man sich natürlich, was dann noch die Aufgabe der Zentrale der HO sein kann.

Wie viele Betriebe haben denn eine Überlebenschance?

Neunzig Prozent. Eine andere Frage aber ist: Wie viele Betriebe haben die Fähigkeit, die Chance zu nutzen? Das werden sicher weniger als neunzig Prozent sein.

Wie viele Betriebe haben Sie bereits verkauft?

Das kann ich im Moment nicht sagen. Es ist jedoch zur Zeit noch eine sehr, sehr kleine Zahl.

Hatten die Betriebe, also sowohl die Geschäftsführung als auch die Belegschaft, ein Mitspracherecht beim Verkauf?

Ich würde das nicht Mitsprache- recht nennen. Sicher haben die Geschäftsleitung und die gewählten Personalräte eine Einflußmöglichkeit — aber ein formelles Mitspracherecht gibt es nicht.

Ist die Treuhand willens und in der Lage, darauf zu achten, daß ein potentieller Investor eine gewisse Arbeitsplatzgarantie abgibt?

Ja, kurzfristig. Aber langfristig ist eine Arbeitsplatzgarantie und die Kontrolle ihrer Einhaltung nicht durchführbar.

Am 31. März laufen die Liquiditätskredite für die ehemaligen Volkseigenen Betriebe aus, mit denen die durch die Währungsumstellung gebeutelten Betriebe wenigsten noch in die Lage versetzt wurden, laufende Zahlungen wie Löhne und Gehälter an ihre Mitarbeiter zu leisten. Was passiert ab 1.April?

Das ist ein wichtiges Datum. Doch es gibt viele Betriebe, die die Kredite zunehmend weniger in Anspruch nehmen. Und bei den anderen muß man sich überlegen, ob die Kredite noch sinnvoll sind. Es macht sicher keinen Sinn — selbst wenn die Kredite durch Grundstücke gesichert sind —, in den nächsten Jahren jeden Monat eine halbe Million zu verlieren und das dann durch Liquiditätskredite abzudecken.

Zu den Betrieben, die auf längere Sicht mehr an Mitteln verbrauchen als sie zu produzieren und zu verkaufen in der Lage sind, gehören ja vor allem solche Großbetriebe wie das Glühlampenwerk Narva oder das Werk für Fernsehelektronik.

Ich habe über diese Firmen keine Informationen. Bisher konzentrierte sich die Treuhand-Niederlassung auf die kleinen Betriebe. Wir werden uns in Zukunft aber auch um die größeren kümmern. Die Situationen in den Großbetrieben ist sicherlich sehr viel dramatischer. Entweder kann in den kommenden Monaten ein Konzept entwickelt werden, wie man mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes erreichen kann. Danach wird es darauf ankommen, eine Zwischenstrecke zu finanzieren — und dazu ist sicher die Treuhand bereit. Oder man muß den Betrieb schließen, sollte er nicht sichtbar zu einem sinnvoll erscheinenden, nicht in allzu weiter Ferne liegenden Zeitpunkt Erlöse haben, die über den Kosten liegen.

Warum haben Sie sich bisher wenig um die größeren Betriebe kümmern können?

Das hat nichts mit »kümmern können« zu tun. Es war und ist nicht unsere Aufgabe, sich um die Großbetriebe zu kümmern.

Aber auch bei den Betrieben mit bis zu 1.500 Mitarbeitern geht der Verkauf nur schleppend voran. Besteht bei den potentiellen Investoren kein Interesse?

Das liegt nicht am mangelnden Interesse der Investoren. Um aber einen Verkauf durchzuführen, braucht man mindestens zwei Dinge: eine DM-Eröffnungsbilanz und ein Konzept, das für den Investor attraktiv ist. Nun ist die Treuhand sicher nicht in der Lage, Konzepte zu entwickeln. Dafür sind die Betriebe beziehungsweise deren Berater zuständig. Es wird kein Investor einen Betrieb kaufen, bei dem nicht klar ist, wie es künftig mit ihm weitergeht. Sowohl die Erstellung der Eröffnungsbilanz wie auch die Ausarbeitung eines Konzeptes dauern natürlich eine gewisse Zeit. Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Verkaufsabsicht, die durch die Treuhand-Niederlassung zeitlich verzögert wurde. Interview: Olaf Kampmann

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