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STANDBILDJohn Lennon lebt!

■ "Ein Mord in den Medien", Sonntag, 23.20 Uhr, Hessen 3

Also was mich betrift, ich höre lieber die „Ramones“. Oder die „Severed Heads“. Und wenn einer der Jungs draufgeht, dann weiß ich zumindest, daß keiner der „Ramones“ auf dem Friedhof der Kuscheltiere beerdigt wird.

John Lennon dagegen wurde auf diesem ominösen Friedhof der Kuscheltiere (Pet Cemetery) beerdigt. Das ist der Ort, an dem man diejenigen beerdigt, von denen man sich absolut nicht trennen will. Mit dem Unterschied, daß John — medial gesehen — schon lange tot war, ehe man ihn dort bestattete. Was dann passiert ist, wissen wir aus dem gleichnamigen Roman von Steven King beziehungsweise aus den Medien: John kam wieder. „Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist“, heißt es in Romeros Dawn of the Dead, dann kommen die Toten zurück auf die Erde. Oder: Wenn in den Archiven kein Platz mehr ist, dann kommen die abgehalfterten Musiker zurück auf die Bildschirme und Plattenteller.

Doch wie erklärt sich die enorme Zeitverzögerung bis zur medientechnischen Reanimation am 9. Dezember 1980? Der Mörder, ein 25jähriger Hawaiianer, so eilte es um die Welt, hatte sich eine Lennon- Schallplatte von einem in New York lebenden, stark kurzsichtigen Unbekannten signieren lassen, der sich als John Lennon ausgab. Als der Hawaiianer den Betrug festgestellt hatte, tauschte er sein Surfbrett gegen eine Handfeuerwaffe ein, um gegen den Usurpator vorzugehen. Der 25jährige Hawaiianer erkannte schlichtweg die Authentizität des „Originals Lennon“ nicht mehr an und schuf damit erst das eigentliche „Original“ — das Medienoriginal.

Nur ein toter John ist ein guter John, bellte die Pawlow-Presse weltweit. Denn der reale Mord dient der Berichterstattung zur Reanimation des Helden als Fiktion. Der gerade zehnminütige, in seiner erfrischenden Kürze beinahe blasphemische HR-Beitrag John Lennon — ein Mord in den Medien zeigt uns ein klein wenig die Distributionswege der Todesnachricht. Wir können zum Teil „reale“ Gespräche verfolgen, etwa zwischen Michael Jürgs vom 'Stern‘ und Wolf Wondratschek, in denen es darum geht, in welcher spezifischen Verpackung die Folge des Todesschusses optimal an die definierten Verbrauchersegmente herangetragen wird. Virtuelle Leichenfledderer bei der Arbeit.

In einem nachträglich gestellten, deswegen etwas authentischer klingenden Gespräch, überzeugt der Frankfurter Musikkritiker Michael Rieth seinen Redakteur von der 'FR‘, daß Lennon auf der Titelseite einfach mehr einschlägt als die lapidare Äußerung eines ägyptischen Staatsmannes. „Ich könnt mir vorstellen: Aufmacher Lennon, Hinweis Kulturteil, da schreibe ich die grundlegende soziokulturelle Analyse über John Lennon als eine der bestimmenden Figuren dieses Jahrhunderts.“ Dann gab es Bilder von diesem unerträglichen Volker Rebel (der in HR3 mit seinem berüchtigten Kuschelrock den obligatorischen Brechreiz wieder eingeführt hat), wie er mit gediegener Weitschweifigkeit und jovialer Anmut seinen Lennon-Nachruf durch den Äther preßt.

Kurzum: Es war also bewußt kein analytischer und auch kein wehmütiger Beitrag. Zehn witzige Minuten lieferten einfach nur die Bausteine dieses Mordes, der, wie der Titel schon sagt, ein Mord in den Medien war. Manfred Riepe

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