Ein SPD-Vorsitzender für alle Lebenslagen

Björn Engholm versteht sich als Mittler zwischen rechts und links/ Ein neues Management soll die SPD liften/ Parteiinterne Kritiker: Engholm ist zu bequem für den Job/ Vogel nutzt Engholms Nominierung zu Angriffen auf Lafontaine  ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer

„Ich schniefte, troff und schwitzte“, erzählte SPD-Ministerpräsident Björn Engholm am Montag über seine vergangene Nacht: „Heute ist eigentlich kein Tag, an dem ich wichtige Entscheidungen treffen sollte.“ Er traf sie dann doch: Engholm kandidiert auf dem kommenden Parteitag für den SPD-Vorsitz.

Damit ist für die SPD die peinliche Suche nach einer oder einem Vorsitzenden vorbei. Noch am Montag abend stellte Engholm sehr unverbindlich und diplomatisch seine Pläne vor: Er wolle dazu beitragen, das „größer gewordene Deutschland wirtschaftlich erfolgreich, sozial gerecht, ökologisch sensibel und kulturbewußt in das 21. Jahrhundert zu führen“. Dafür brauche die SPD „den Facharbeiter wie die leitende Angestellte, die Unternehmerin wie den Handwerksmeister, den Altenpfleger wie die Wissenschaftlerin“.

In einem Interview mit den Tagesthemen wurde er deutlicher: Er wolle „Barrieren zwischen der SPD und dem modernen Unternehmertum“ beiseite schaffen und mehr „mit den Intellektuellen in Deutschland“ zusammenarbeiten. Damit bietet sich Engholm als Vermittler zwischen rechts und links an. Das Parteiprogramm will er allerdings nicht umschreiben. Er stehe auch voll hinter Oskar Lafontaines Regierungsprogramm Fortschritt 90.

Die zwölf Mitglieder des SPD- Präsidiums hatten Engholm einstimmig benannt. Präsidiumsmitglied Heidi Wieczorek-Zeul sagte nach der Sitzung, sie sei „sehr froh“ darüber. Engholm komme aus einem fortschrittlichen Landesverband, mit ihm gebe es kein programmatisches Zurück. Auch die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Inge Wettig-Danielmeier, freute sich über die Kür Engholms. Er habe die Forderungen der AsF immer praktisch unterstützt. Da jetzt allerdings wieder ein Mann Vorsitzender geworden sei, müsse unbedingt neben Herta Däubler-Gmelin eine zweite Frau Stellvertreterin werden.

Engholm will jedoch, wie es aus der SPD heißt, das Präsidium und den Vorstand verkleinern. Das erhöht nicht gerade die Chance, mehr Frauen reinzubekommen. Er wolle die Organisation seiner Partei „von außen“, das heißt von einem professionellen Unternehmen überprüfen lassen und ihr ein modernes Management verpassen. Außerdem überlegt Engholm, zwei GeschäftsführerInnen für die Tagesarbeit in Bonn einzustellen. Sein Freund, der Kieler SPD-Chef Gerd Walter, ist der Partei allerdings schwer zu vermitteln. „Ein Schleswig-Holsteiner reicht“, lautet das Argument gegen ihn. Gute Chancen hat dagegen der nordrhein- westfälische Verkehrsminister Christoph Zöpel. Heidi Wieczorek-Zeul, die auch als Geschäftsführerin im Gespräch war, lehnte bereits ab. Sie wolle, wenn schon, dann stellvertretende Vorsitzende werden.

Inzwischen wird bereits klar, daß es Engholm nicht leicht haben wird, als Vorsitzender die Partei zusammenzuhalten. Gezielt streuen seine Widersacher, zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel, das Gerücht, er sei viel zu bequem für den Job und würde in Kiel häufig erst gegen Mittag zur Arbeit erscheinen. Anhänger Lafontaines erzählen, Engholm sei seit langem Vogels Günstling. Der amtierende Vorsitzende habe Lafontaine gezielt unter Druck gesetzt, um seinen Protegé an die Macht zu bringen. Was an dieser Verschwörungstheorie stimmt: Vogel hat auf der Vorstandssitzung am vorletzten Montag Druck gemacht und damit riskiert, daß der sensible Lafontaine — wie geschehen — den Parteivorsitz ablehnt. Es gab jedoch noch zahlreiche weitere Gründe für Lafontaines unerwartetes Nein. Zum Beispiel die herbe Kritik Willy Brandts und anderer Vorstandsmitglieder an seinem Wahlkampf. Und: daß keiner auf Lafontaines personalpolitische Wünsche einging.

Vogel gibt sich nun alle Mühe, mit Engholm ein besseres Verhältnis aufzubauen, als es mit Lafontaine möglich war. Gestern signalisierte er sogar, daß er nach einem Jahr den Posten des Fraktionsvorsitzenden für eine Kandidatin oder einen Kandidaten nach Engholms Geschmack frei machen wolle. „Ich klebe nicht an meinem Sessel und weiß, wann es Zeit ist...“, sagte er verbittert. Er habe „einiges zu verarbeiten“, schließlich habe er Lafontaine „Stufe für Stufe unterstützt“ und „bedaure, daß er sich anderes entschieden hat, als von ihm erwartet wurde“.

Engholm dagegen lobte er. Der habe „viel Lebenserfahrung“, verstehe „zu integrieren“, treffe auf „breite Zustimmung in der Öffentlichkeit“ und sei in der Vergangenheit „mit Siegen und Niederlagen“ gut zurechtgekommen. Ohne den Saarländer direkt anzugreifen, sagte Vogel, seiner Partei sei es im Wahlkampf nicht gelungen „klarzumachen, daß es uns nicht um das Ob der Hilfe für die neuen Bundesländer, sondern um das Wie der Hilfe“ gehe. Und: „Wie konnte der Eindruck entstehen, wir hätten mit der staatlichen Einheit Probleme?“ Zusammen mit ihrem designierten neuen Vorsitzenden werde die Partei diese Frage beantworten müssen.