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Milupa muß Schmerzensgeld zahlen

■ Firma verlor Prozeß um schädlichen Kindertee/ Oberlandesgericht beanstandete mangelhafte Warnhinweise über Kariesgefahr/ Schätzungsweise sind 100.000 Kinder betroffen

Berlin (taz) — Der Kinderteehersteller Milupa muß zwei Kindern, die am „Baby-bottle-syndrom“ — einer schweren und schmerzhaften Gebißzerstörung — erkrankten, angemessenes Schmerzensgeld zahlen. In einem Musterprozeß vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main sah es der 11. Zivilsenat als erwiesen an: Der Kariesbefall am Milchgebiß der heute 9- bzw. 11jährigen Kinder ist auf die Kinderteegetränke und deren Verabreichung in Form des „Dauernuckels“ zurückzuführen.

Seine Entscheidung begründete das Frankfurter Gericht maßgeblich damit, Milupa habe es trotz entsprechender wissenschaftlicher Erkenntnisse versäumt, rechtzeitig deutliche Warnhinweise auf den Verpackungen anzubringen. Bereits im September 1981 hatte die Firma Kenntnis über den typischen Fehlgebrauch der Kinderteeprodukte erhalten. Zahlreiche Eltern hatten ihren Kinder die Teefläschchen tagsüber und nachts als „Dauernuckel“ überlassen. Dabei wurden die Zähne stundenlang mit den stark zuckerhaltigen Tees umspült. So auch in den Fällen, die in Frankfurt verhandelt wurden.

Das Urteil ist nach Ansicht des Frankfurter Rechtsanwalts Christoph Kremer von großer Bedeutung für Fragen der Produkthaftung, wie sie auch Holzschutzmittel- oder Asbestgeschädigte betreffen. Denn die Frankfurter Richter formulierten eine umfassende „Plicht zur Aufklärung und zur Warnung“, die auch die Warnung vor naheliegendem Mißbrauch einschließe. Wichtige Hinweise über Produktgefahren und deren Anwendung dürfen danach nicht zwischen Teilinformationen über Darreichungsformen, Werbeaussagen usw. versteckt werden.

Dieser Plicht ist Milupa nach Ansicht des Gerichts nicht nachgekommen. Die Firma habe vielmehr die Warnhinweise im Fließtext über die Zubereitungsweise „versteckt“. Weil die grafische und farbliche Gestaltung der Verpackungen weitgehend unverändert blieb, hätte für die Verbraucher kein Anlaß bestanden, in den Hinweisen für die Zubereitung besondere Warnhinweise zu vermuten. Nach Schätzungen des Gießener Sachverständigen und Professors für Zahnheilkunde, Wetzel, waren in der Bundesrepublik rund 100.000 Kinder am schweren Baby-bottle- syndrom erkrankt. Die reinen Zahnbehandlungskosten belaufen sich dabei — je nach Schwere — auf 10.000 Mark bis 30.000 Mark; den Krankenkassen entstanden Kosten zwischen vermutlich einer und drei Millarden.

Der Anwalt der Kinder hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Mark gefordert, über das in einem gesonderten Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt entschieden wird. Mit Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung hat das OLG Frankfurt die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Helga Lukoschat

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