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Kirchen bieten Fluchtburg für Roma

■ Zwei Roma-Familien sind von Abschiebung nach Jugoslawien bedroht/ »Ich schlafe seit Wochen wie auf Nadeln«, sagt ein Betroffener

Berlin. Fünfzehn Jahre ist sie alt, trägt wie ihre Klassenkameradinnen die typisch weiten Jeans und klobigen Turnschuhe — ein ganz normaler Teenager also, wäre sie nicht vor neun Wochen von zuhause abgehauen. Weder Zoff mit ihrer Mutter, noch Ärger in der Schule haben Mara aus dem Haus getrieben, sondern die Angst vor der Ausländerbehörde. Dem Mädchen, Angehörige der Roma, droht ebenso wie ihrer Mutter die Abschiebung nach Jugoslawien. Weil die Mutter sie nicht schützen kann, hat sich Mara in die Obhut von Jugendnotdienst und Arbeiterwohlfahrt begeben. Kirchengemeinden wollen den Roma nun notfalls das gewähren, was der Staat ihnen verweigert: Schutz vor Verfolgung unter dem Kirchendach. Das kündigte gestern vor der Presse Jürgen Quandt, Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde und Mitglied des kirchlichen Arbeitskreises Asyl, an.

Was den Roma im Falle einer Abschiebung nach Rumänien oder Jugoslawien blüht, schilderten die Betroffenen selbst. Mara lebt mit Unterbrechungen seit elf Jahren in Berlin. Zweimal, 1983 und 1987, wurde die Mutter mit ihren beiden Töchtern aus Berlin ausgewiesen. Beide Male kamen sie nach kurzer Zeit zurück. Die Mutter konnte sich und ihre Töchter nicht ernähren, die Familie lebte in ständiger Angst vor Übergriffen, die in Jugoslawien für Roma zum Alltag gehören. Die Asylanträge der drei sind inzwischen abgelehnt, Maras 17jährige Schwester wurde bereits abgeschoben. Das gleiche Schicksal droht auch ihrem Onkel und seiner sechsköpfigen Familie: Ferhat S. wurde als fahrender Händler mehrfach von der Miliz aufgegriffen, durch Schläge mit Holzbrettern und Stöcken schwer mißhandelt und leidet seitdem an Nierenschäden und Bewußtseinsstörungen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Daß es den Roma in Jugoslawien schlecht ergeht, wollte das Bundesamt für die Anerkennung politisch Verfolgter gar nicht bestreiten, aber, so die Begründung, Ferhat S. leide darunter nicht mehr als alle anderen Roma. Seit Monaten sieht sich die Familie mit der drohenden Abschiebung konfrontiert: Bis zum 18. Dezember sollen sie das Land verlassen haben. »Ich schlafe seit Wochen wie auf Nadeln«, sagt der 30jährige. Statt Abschiebung Anerkennung als De- facto-Flüchtlinge fordern unter anderem die Ostberliner Ausländerbeauftragte Kahane, der Ausländerbeauftragte der evangelischen Kirche, die Berliner Rom-Union und die Cinti-Union Berlin. Auf Anfrage wollte Noch-Innensenator Erich Pätzold (SPD) gestern zumindest versprechen, daß es zu keiner Abschiebung komme, solange sich nicht die Härtefallkommission zu den Fällen beraten habe. Die tagt am 20. Dezember.

Wie die »Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV) gestern dokumentierte, werden Roma in Jugoslawien willkürlich auf der Straße von Passanten oder Polizisten attackiert, ohne daß solche Vorfälle geahndet werden. Zunehmend werden Roma zwischen den Nationalitätenkonflikten aufgerieben. In Rumänien geraten sie zunehmend in die Sündenbockrolle für gesellschaftliche Mißstände. Der auch von den Medien miterzeugte Haß entlädt sich in Überfällen durch die Mehrheitsbevölkerung — oft mit Unterstützung oder Duldung durch die Polizei. Die Situation der Roma, so resümierte Katrin Reemtsma von der GfbV, »ist vergleichbar mit der der sowjetischen Juden.« anb

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