: „Rückfall in die Postkutschenzeit“
■ Bonn will mit Straßengebühren den Haushalt aufbessern/ SPD und Verkehrsclubs protestieren
Bonn (taz/ap) — Wer Deutschlands Straßen befährt, muß vielleicht künftig dafür zahlen. Die Bundesregierung erwägt eine generelle Gebühr von 100 Mark pro Jahr für jede öffentliche Straße. Ihre Begründung: Der Bundeshaushalt könne den Ausbau des Straßen-und Schienennetzes in Gesamtdeutschland nicht mehr finanzieren. Das erklärte gestern der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dirk Fischer. Für Lastwagen und Busse seien rund 1.000 Mark im Jahr vorgesehen. Damit könnten jährlich rund vier bis sechs Milliarden Mark in die Staatskasse fließen. Aus Koalitionskreisen verlautete dagegen, es werde an eine Gebühr von jährlich 100 Mark für die Benutzung von Autobahnen gedacht. Aber nach Fischers Worten soll sich die Gebühr nicht nur auf die Autobahnen erstrecken, weil sonst der Verkehr auf die Bundesstraßen gedrängt würde.
Die Sozialdemokraten lehnen eine pauschale Abgabe für die Benutzung von Autobahnen ab. Das widerspreche dem Verursacherprinzip, weil „Vielfahrer und Wenigfahrer mit gleich hohen Beträgen belastet“ würden, kritisierte der SPD-Verkehrsexperte Klaus Daubertshäuser. Eine „Benutzungsabgabe“ über höhere Mineralölsteuern dagegen zwinge denjenigen, der viel fährt und Straßen und Umwelt stärker belaste, mehr zu bezahlen.
Der Auto Club Europa (ACE) lehnt die Bonner Autobahngebührenpläne ebenfalls ab. Sie seien nicht geeignet, die Verkehrsprobleme konzeptionell und übergreifend zu lösen. Mit einer solchen Maßnahme ziehe man lediglich den Autofahrern das Geld aus der Tasche. Die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) nannte derartige Pläne „verkehrspolitisch schizophren“.
Die bezahlte Gebühr solle nach dem Schweizer Vorbild durch einen Aufkleber an der Windschutzscheibe deutlich gemacht werden.
Der von Umweltschützern getragene Verkehrsclub VCD lehnt eine Autobahn-Vignette ab und befürwortet ebenfalls eine Erhöhung der Mineralölsteuer um zehn Pfennig je Liter. Eine höhere Mineralölsteuer böte Anreize zum Umsteigen auf Busse und Bahnen sowie zum Kauf benzinsparender Autos. Mit Mehreinnahmen dürfe auch nicht die „Zubetonierung Deutschlands“ finanziert werden. Das Geld müsse in die Sanierung des Streckennetzes der Reichsbahn und in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs in Ostdeutschland gesteckt werden.
Die Autobahn-Vignette ist auch in der Schweiz nicht unbedingt beliebt. Durch eine Volksabstimmung 1984 fand die Vignette dann doch ihren Platz am eidgenössischen Auto — erst einmal für 10 Jahre. Der damalige bundesdeutsche Verkehrsminister Werner Dollinger (CSU) sprach von einem „Rückfall in die Postkutschenzeit“.
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