: Lieben mit Kopf und Körper
■ Die Oper „Yerma“ von Garcia Lorca und Villa-Lobus in Bielefeld
Es ist eine Geschichte der Frauenemanzipation: Behutsam und vage beginnend, von wachsender Leidenschaft gekennzeichnet, und blutig endend. Die ungebändigten Gefühle der Frau in einer rückständigen bäuerlichen Umwelt prallen auf die Gefühlskälte, das körperliche Unvermögen und das Herrschaftsritual der patriarchalischen Verhältnisse. Federico Garcia Lorcas Drama, zwei Jahre vor dem schrecklichen Tod des Dichters in Madrid uraufgeführt, rückte 1934 ins Bewußtsein, was für die urbane Gesellschaft als Problem erledigt schien: Yerma versucht ihrem Juan eine gute Frau zu sein, ordnungsgemäß Mutter zu werden und dem Hof einen Erben zu bescheren.
Aber nach mehr als zwei Ehejahren hat sich noch nichts gerührt. Da erwachen Versagensängste, wächst die Frustration, blüht das wechselseitige Mißtrauen. Das Milieu ist so gut wie unaufgeklärt. Juan, der Ehemann — in Bielefeld sehr überzeugend gesungen und dargestellt von Ulrich Neuweiler — ist an seinem Acker und der Vermehrung des bescheidenen Wohlstands interessiert. Sein Lebensprinzip: „In den Pferch gehören die Schafe und ins Haus die Frauen!“ Sie sind Mobiliar, Objekt, Besitz. Und daß nur die Leute ja nicht über einen reden!
Gerade das aber tun sie zunehmend. Die schwangeren Frauen auf dem Dorfplatz, mit kühler Distanz vom Regisseur John Dew in Schwerfälligkeit und körperlicher Unbeweglichkeit gezeigt, haben umso flinkere Zungen und zerreißen sich das Maul über den Mann, der aus nicht viel mehr „als Spucke“ ist. Yerma hat sich in ihrem Leidensdruck an eine Alte gewandt, die aber das Problem der jungen Frau zunächst gar nicht begreift, jedoch ihre Gottergebenheit bespöttelt. Auch vom guten Hirten Victor, dessen Männlichkeit Yerma imponiert, kommt weder Rat noch Tat. So wendet sie sich an eine in okkultischen Dingen beschlagene Frau, wird zum Beten auf den Friedhof geschickt — alles vergebens. Sie unternimmt eine Wallfahrt zur Kapelle in den Bergen.
Längst ist die Frau aus den kleinen Verhältnissen auf der Bühne zu einer großen Figur geworden. Die europäische Erstaufführung der Oper des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos, die 1954/55 komponiert wurde, geriet zum Triumph der Maike Pansegrau: Sie singt die Titelpartie souverän und wird zur anrührenden Yerma, welche das Dunkel und die Kälte ihrer Lebensbeziehung nicht auf sich beruhen läßt, die Zumutungen hinterfragt, aus dem auferlegten Schweigen ausbricht. Für sie kann Liebe nicht die vom Kopf auferlegte Pflicht bleiben. Die Sehnsucht nach erfüllter körperlicher Liebe und die Nichterfüllung des Kinderwunsches lassen ihre Verachtung für den Ehemann in offenen Haß umschlagen. Sie entledigt sich der Zumutungen am Rande des Volksfestes, auf dem Juan kräftig trinkt, indem sie den Gatten erschlägt. Dieser Totschlag durchkreuzt freilich auch ihren Wunsch, in annehmbaren Verhältnissen als Frau und Mutter anerkannt zu werden.
Die fünf Opern des 1887 in Rio de Janeiro geborenen Heitor Villa-Lobos sind hierzulande bislang unbekannt gewesen. Das Stadttheater Bielefeld, das in den achtziger Jahren eine erstaunliche Zahl von Stücken wieder ausgegraben oder jenseits des Ozeans entdeckt hat, um sie mit den Bildern von Gottfried Pilz in der Regie von John Dew zum Erfolg zu bringen, hat mit Yerma neuerlich eine glückliche Hand gezeigt: Auch mit dieser Villa-Lobos-Oper läßt sich ansprechendes Musiktheater machen. Die Musik zeichnet sich durch freundliches Espressivo, einen hohen Grad von Illustrationsfähigkeit und manche Sentimentalität aus. Der Grundton ist am Impressionismus Debussys und Ravels orientiert, zugleich angereichert durch jenes lokale Kolorit, die einheimischen Volkstöne, die der junge Villa-Lobos zu Beginn des 20.Jahrhunderts durch „Feldforschung“ aufspürte. Dem Stoff und dem Sprachduktus des Lorca-Textes erscheint diese Musikmischung höchst angemessen: umschreibt sie doch ein Milieu der kleinbäuerlichen Welt, an deren Horizont die Industriegesellschaft, die Moderne als erster Widerschein aufleuchtet.
Nur die Kostüme verwiesen in Bielefeld auf das ländliche Spanien in den frühen dreißiger Jahren. Sonst aber wurde das Ambiente der Scholle weit entrückt, auch wenn noch einige rundgewaschene Steine an der Rampe auf die ferngerückte Ländlichkeit verwiesen. Gottfried Pilz hatte einen ovalen Turm in die Mitte der Bühne stellen lassen, halb aufgeschnitten für die rote Innenansicht, und durch fünf Türen begehbar. Doch der Konflikt zwischen Yerma und Juan drängt und dringt aus diesem Innenraum hinaus. Vor großen blauen Flächen, raffiniert ausgeleuchtet, wird er zu einer öffentlichen Angelegenheit.
Die Bielefelder Produktion ist vergleichsweise einfach und unaufwendig gehalten. Das bekommt dem Stück gut. Das erlaubt, ohne überhöhende Umnutzung oder allzu tiefschürfende Interpretation ein Bild von Lorcas Drama zu gewinnen und einen unverstellten Höreindruck von der Musik. Da diese nie überbordet und in keiner Passage allzu scharftönend geriet, stellt sich gepflegter Unterhaltungscharakter ein. Vielleicht war der es, dem das begeisterte Premierenpublikum (zusammen mit der überragenden Maike Pansegrau) so stürmischen Beifall zollte. Frieder Reininghaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen