Gießen: Keine Professur für Feministin?

■ Professorenmehrheit gegen die Berufung einer feministischen Soziologin

Berlin (taz) — Die Justus-Liebig- Universität in Gießen ist ein stinknormaler Wissenschaftsbetrieb: Zwar sind fast die Hälfte der Studierenden Frauen, doch die Professorinnen machen nur fünf Prozent aus. Guter bundesrepublikanischer Durchschnitt. Seit Frühjahr 1990 hat die Uni Gießen nun aber einen Frauenförderplan. Darin steht, daß Wissenschaftlerinnen bei gleicher Qualifkation bevorzugt eingestellt werden sollen. Papier, das offenbar in der Praxis nichts wert ist.

Ein heftiger Streit tobt deswegen seit Monaten im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, der sich nach außen gern den Anstrich gibt, besonders progressiv, demokratisch und multikulturell zu sein. Es geht darum, ob die feministische Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen für eine Professur bei den GesellschaftswissenschaftlerInnen qualifiziert genug ist. Seit 15 Jahren hat es dort keine Frau mehr zu Professorin gebracht, obwohl gerade in diesem Fachbereich der Anteil der Studentinnen überproportional hoch und das Interesse an Frauenforschung besonders groß ist.

Im Frühjahr dann wurde eine C4- Professur für Kultursoziologie und/ oder Soziologie der Entwicklungsländer ausgeschrieben. Unter die acht KandidatInnen der engeren Wahl kam auch die 46jährige Professorin, die sich als Entwicklungssoziologin international einen Namen gemacht hat. So hat sie an der Universität Bielefeld die sogenannte Subsistenztheorie mitentwickelt und sie zusammen mit den Wissenschaftlerinnen Maria Mies und Claudia von Werlhof in einer feministischen Version fortgeführt. Ihre gemeinsame Veröffentlichung Frauen, die letzte Kolonie gehört inzwischen zur Standardliteratur nicht nur in entwicklungssoziologischen Seminaren. Die Bewerbung der Feministin aber paßt der Professorenmehrheit am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften in Gießen überhaupt nicht.

Natürlich sagen sie das nicht so direkt. Die Herren, darunter so progressive wie Claus Leggewie, sind natürlich sehr für Frauenförderung. Aber sie halten die Bewerberin für nicht qualifiziert genug. In ihrer Ablehnung von Veronika Bennholdt- Thomsen für die Berufungsliste heißt es etwa, die Bewerberin habe innerhalb der „scientific community [...] als Vertreterin eines alternativ-marxistischen Ansatzes“ keinen großen Stellenwert. Den „internationalen Standard der in der soziologischen Disziplin teil-etablierten Frauenforschung“ erreiche sie dabei nicht.

Die Mehrheit des Fachbereichsrates, StudentInnen, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche MitarbeiterInnen und einige Professoren, sind da ganz anderer Meinung. Sie setzten die 46jährige Bielefelder Soziologin auf Platz eins ihrer Berufungsliste. Ihr Votum stützt sich auf drei von sechs auswärtigen Gutachten, die Veronika Bennholdt-Thomsen für Listenplatz eins vorgeschlagen haben. Eine Bewertung, die kein anderer Bewerber erreichte. Die drei Gutachter attestierten der Soziologin unter anderem empirische Gründlichkeit, Innovation in der Theoriebildung, fachwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und internationales Renommee. Veronika Bennholdt-Thomsen sei für die Stelle nicht nur hoch qualifiziert, sie decke darüber hinaus einen Teil des Lehrbedarfs im Bereich Frauenforschung ab.

Doch die Mehrheit der Professoren im Fachbereichsrat hält an ihrer Berufungsliste ohne Veronika Bennholdt-Thomsen fest, obwohl sie innerhalb des Gesamtgremiums mit sieben zu dreizehn deutlich in der Minderheit sind. Das Hochschulgesetz stärkt ihnen den Rücken: Festgeschrieben ist darin, daß bei Personalentscheidungen die Mehrheit der Professoren und nicht die Mehrheit des Fachbereichsrates ausschlaggebend ist.

Gegen diese „demokratische Farce“ laufen der Asta und die StudentInnen des Fachbereichs seit Wochen Sturm. 300 Unterschriften kamen für die Wunschkandidatin Veronika Bennholdt-Thomsen zusammen, Protestversammlungen fanden statt. Marion Oberschelp, Frauenbeauftragte der Uni: „Was im Fall von Veronika Bennholdt-Thomsen an Diskussionen und Beleidigungen im Fachbereich gelaufen sind, ist ungeheuerlich.“ Eine „neue Männermafia“ habe von Anfang an mit massiven Angriffen Front gegen die Soziologin gemacht. Es seien Äußerungen gefallen wie: „Die paßt nicht zu uns, sie arbeitet unwissenschaftlich, mit ihr ist keine Zusammenarbeit möglich.“ Kriterien, die vorher als gültig zur Bewertung der BewerberInnen aufgestellt worden seien, seien im Fall von Veronika Bennholdt-Thomsen plötzlich nicht mehr angewendet worden. „Der Qualifikationsbegriff ist die Hürde.“ Denn „gleichwertige Qualifikation“ werde bisher stets zugunsten von Männern interpretiert.

Der Senat der Universität Gießen muß nun am 19. Dezember entscheiden, welchen der beiden konkurrierenden Listen er mehrheitlich zustimmt. Unabhängig von diesem Votum kann der Uni-Präsident Heinz Bauer einen Vorschlag beim hessischen Wissenschaftsminister Wolfgang Gerhardt einreichen. Der hat bei der Berufung das letzte Wort. Ulrike Helwerth