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„Die Studenten fühlen sich betrogen“

■ Die Berliner Wissenschaftssenatorin Barabara Riedmüller (SPD) nimmt zur Situation der Neuorganisation der Hochschulen der ehemaligen DDR Stellung INTERVIEW

taz: Vor einem Jahr standen die Studenten an der Spitze der friedlichen Revolution in der DDR. Jetzt wollen Sie ihnen nicht den Umbau der Hochschulen überlassen ...

Barbara Riedmüller: Das glaube ich nicht, daß die Studenten an der Spitze standen. Sie sind sehr spät aktiv geworden. Zuvor waren sie politisch sehr auf Linie, das entspricht ja auch der Struktur der DDR-Universitäten.

Warum geben die Politiker den Studenten nicht fünf oder zehn Jahre Zeit, selbst die Reform zu betreiben?

Ich denke, die Universitäten werden fünf bis zehn Jahre brauchen, bis sie wirklich wissenschaftliche Qualität auf vergleichbar europäischem Niveau haben werden. Die Gruppe unter den Studenten, die mir Sorgen macht, das sind die, die systemkonform erzogen sind, die sich jetzt als Verlierer der Einheit betrachten und sich betrogen fühlen. Das ist ja nicht ganz falsch. Zwar hat diese Studentengeneration gute Chancen, aber sie sind ausgesiebt worden. Sie sind um die Kaderfunktionen, die sie gehabt hätten in diesem System, betrogen worden. Und sie sind um den sicheren Arbeitsplatz betrogen worden.

Überall in der ehemaligen DDR gaben Studenten Angst, daß sie nicht mehr studieren können, daß ihnen die Hochschullehrer weggenommen werden, daß Ausbildungsgänge geschlossen werden ...

Wir haben das auch auf der Kultusministerkonferenz besprochen, ich kann hier aber nur für Berlin sagen: Die Angst ist unberechtigt. Die Humboldt-Universität soll die dritte Universität in Berlin werden. Die Studiengänge sind garantiert.

Was passiert am 2.1.1991?

Im Einigungsvertrag ist das der Stichtag, zu dem wir die zentralstaatlichen Einrichtungen in Landeshoheit überführen. Oder eben nicht überführen. Das tun gerade alle Länder, deshalb gibt es überall große Aufregung.

Was wird denn aus der Hochschullandschaft der ehemaligen DDR ganz verschwinden?

Es gibt natürlich das Kostenproblem, das ist aber nicht das entscheidende. Die entscheidende Frage ist: Was sind Studiengänge, deren Zeugnisse als vergleichbar anerkannt werden können. Bei der Lehrerbildung war das in der Kultusministerkonferenz ein ganz strittiger Punkt. Seiteneinstieg über berufliche Bildung, wie er in der DDR gefördert wurde, ist ein strittiger Punkt.

Was wird aus der Hochschule für Ökonomie (HFÖ) in Berlin?

Ich halte was vom Gedanken der „universitas“. Wir lassen aber alle Studenten da am Standort zu Ende studieren ...

Die werden mit ihren Examina nie einen qualifizierten Arbeitsplatz bekommen ...

... weil wir das auch vermuten, daß ein solcher Abschluß nicht ruffördernd ist — das begreifen die übrigens bis heute nicht — bilden wir kleinere Gruppen nach Studienjahrgängen, die als Abteilungen der bestehenden Hochschulen laufen. Ein Abschluß der HFÖ wäre niemals anerkannt worden.

Gibt es Studenten, etwa in der Ökonomie, die völlig neu studieren wollen?

Leider nur wenige. Die sollten die Möglichkeithaben haben, zumindest in Sommerkursen noch was anderes als sozialistische Planwirtschaft zu lernen.

Was wird aus den Hochschullehrern in den ideologieverdächtigen Problemfächern?

Wir wollen die Verträge befristen, und dann gibt es 1992 Berufungsrunden für die neuen Stellen, wo sich alle bewerben können.

Wer entscheidet?

Expertengremien. Das darf keine Selbsterneuerung der alten Kader sein.

Gibt es unter den Hochschullehrern ernsthafte selbstkritische Debatten?

Kaum. Das haben wir sehr leidvoll erfahren. Ich hatte gedacht: Es gibt vorne die Professoren und Reisekader, und dahinter stehen diejenigen, die nicht mitreden durften, die man jetzt nach vorne holen könnte. Das ist aber nicht so. Bei jeder Einstellung redete die Partei mit.

Ist die Humboldt-Universität inzwischen Stasi-frei?

Bei den Kriminalisten war es kein Geheimnis, da ist sogar für die Stasi ausgebildet worden. Ich vermute, daß die 17 Leute, die jetzt entlassen werden, längst nicht alle sind. Und das sind erst die Offiziere, da kommt dann noch die Ebene der Denunzianten. Ich bin der Meinung, daß einer nicht Professsor sein kann, der Studenten denunziert hat. Interview: Klaus Wolschner

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