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Eroberung des Jahrmarkts

■ »Mädchen in Sicht« — Ausstellungen, Workshops, Show und Film in Neukölln

Auf und ab, auf und ab rutscht das Bild auf der Projektionsleinwand. Landschaft steigt und fällt vor den Augen, unkenntlich ihre Details in der Geschwindigkeit. Mädchen in Sicht verspricht der Titel der Ausstellung in der Galerie im Körnerpark; allein, bei dieser Installation von Hucky Porzner suche ich sie erst vergebens. Bis die Erinnerung dämmert: So sieht die Welt von der Schaukel aus aus, wenn in rauschender Bewegungslust die Umgebung verwischt und die schwindelnde Wahrnehmung nur noch um den eigenen bewegten Körper kreist. Nichts bleibt übrig als das über die Welt fliegende Ich. Seit Generationen ein ungebrochenes Vergnügen.

Am Projekt Mädchen in Sicht bastelten die Frauenbeauftragte und die Leiterin des Kunstamts Neukölln, die Kulturpädagogische Arbeitsstelle für Weiterbildung der Hochschule der Künste und der Mädchentreff Briesestraße. Kultaltäre und Kuschelecken, Fotogeschichten über Straßenspiele, Videoporträts junger Mädchen, Wandzeichnungen voller Notizen zu Erwartungen an die Frauenrolle, Bilder und riesige Märchenskulpturen wurden von Mädchengruppen aus Neukölln, Britz und Wedding zusammen mit Autorinnen, Malerinnen, Fotografinnen und Filmerinnen gestaltet. Die Ergebnisse ihrer Selbstbefragung sind nur zum Teil als gefühliger Sumpf und therapeutischer Schutzraum inszeniert; aber mehr noch gleicht die Ausstellung einem Spielplatz und Jahrmarkt mit Geisterbahn, Spiegelkabinett, Schaubuden und Geschicklichkeitsübungen. Die Freiräume der Phantasie der Mädchen, die ihre Rollen noch proben, ihre Bewegungsräume in der Öffentlichkeit und ihre intimen Rückzugsorte finden sich in spielerische Erlebnisarchitektur übersetzt. Die Kirmes mit ihrer aufgekratzten Atmosphäre und dem Korso männlicher Eitelkeit, mit Konkurrenzkämpfen und Flirts, mit echten und den simulierten Sensationen als Auftrittsort der Mädchen zu okkupieren, das ist ein Akt der Selbstbehauptung und zugleich seine ironische Persiflage.

Workshops zu Selbstverteidigung, Tanz, Musik und zur vielfältigen Umsetzung von Selbsterfahrung in Bewegung, Malerei und Texte setzen während der Ausstellungsdauer bis zum 17. Februar die Auseinandersetzung mit Rollenklischees, Wünschen und Ängsten und das Experimentieren mit unterschiedlichen Ausdrucksformen fort. Die Kunstformen im Saalbau und in der Galerie im Körnerpark artikulieren keine endgültigen Ergebnisse, liefern nicht museal konservierte Alltagskultur, sonden gewähren nur für einen Moment Einblick in den Prozeß der Identifikation der Mädchen. Filme, Tänze, Lesungen und Gespräche ergänzen das Programm.

Der eigenen Identifikation über die Blicke der anderen gilt die Installation In der Schwebe, den Bruchstellen zwischen den Kinderspielen auf der Straße und der Wahrnehmung als weibliches Objekt gewidmet. Die Straße wird dargestellt als ein Schwebebalken, über den sich am Eröffnungsabend bewegte, was nur auf seinen zwei Beinen schon laufen konnte. Die verspiegelten Matten unter dem Balken lassen die Sprüche lesen, die unter der Decke hängen: »Na, Süße«, »Halt dich gerade!«, »Hat die Beine!«. So balancierend, den Blick gesenkt, von den Zurufen im Nacken getroffen, reproduziert sich die Spannung zwischen Selbstvergewisserung und Verunsicherung, in der sich Mädchen in der Öffentlichkeit bewegen.

In schwarzem Lack und rosa Tüll erhebt sich Heiliges, ein gespenstischer Altar der geheimen Wünsche: ein gigantischer Schminktisch, dessen halb geöffnete Schubladen mit Idolen der Pop-und-Rock-Kultur ausgeklebt sind. Schwarze Plastikratten und rosa Plüschbären bewachen die Opfergaben in Tiegeln und Fläschchen. Das Intimste gerät zur knalligen Attraktion, die das Zusammenkleben der Selbstentwürfe aus industriell vorfabrizierten Idealen zur Schau stellt.

Über mangelnde Idealmaße und genormte Schönheitsbegriffe tröstet eine Reihe von Zerrspiegeln hinweg, die jede zum breiten Frosch zusammenquetschen und wie Brei auseinanderfließen lassen.

Das Mädchenzimmer selbst, die Enklave des Rückzugs, hat nach einem Entwurf von Anne Schemm aus bemalten Stoffbahnen eine Decke wie eine Kapelle bekommen. In diesem Gedankenhimmel bewegen sich die Träume derer, die sich noch nicht entscheiden und festlegen müssen. Da konkurriert die Braut in weißem Tüll mit der in schwarzem Leder auf dem Mottorrad, und die von rosigen Babys umkrabbelte Krankenschwester steht der einsam auf ihrem Bett rauchenden Studentin gegenüber.

Zum Garten der Sehnsüchte führt ein dunkler Gang voller Geflüster, Seufzen und Würgen. Texte, Bilder und Fotos, die in einem Workshop von Rebecca Uhlig mit acht Neuköllnerinnen zum Thema »Sucht und Sehnsucht« entstanden sind, liegen in Kästen mit farbigem Sand ausgebreitet. Traurigkeit, Schmerz, Einsamkeit und unerfüllbare, kaum zu artikulierende Wünsche werden als Teil der eigenen Person akzeptiert und in einer eher melancholisch-romantischen Stilisierung ausgekostet.

Der Erfahrung der eigenen Sexualität widmet sich die Ausstellung auf zwei Ebenen, räumlich übereinander gebaut. Unten findet in einem mit Kissen warm gepolsterten Minisalon eine Art Kultur-Peepshow statt, die von den frühen in den Fels geritzten Geschlechtssymbolen über die archaischen Fruchtbarkeitsskulpturen bis zu den Bildern Lena Vandreys und den Plastiken von Niki de Saint Phalle reicht. Hier konnten die Macherinnen wohl nicht widerstehen, den in den letzten Jahrzehnten gehorteten Fundus der Göttinnen und Heldinnen zu plündern und den authentischen Berichten junger Mädchen, gesammelt in schwarzen Samtordnern, gegenüberzustellen. Ein wenig wirkt dies, als hätten die Pädagoginnen auf dem Selbstfindungstrip die historischen Vorlagen benutzt, um an die Erfahrungen der nächsten Generation heranzukommen. Zwischen Göttinnenmystik und Mädchenreport schillert diese Koje.

Auf der Etage darüber liegen wieder Lese- und Bilderbücher aus, die diesmal aber Ängste und das Thema des Kindesmißbrauchs umkreisen. Aus einer schwarzen Übermalung taucht in einer Folge von vielen Fotos erst allmählich das Gesicht eines jungen Mädchens wieder auf. Im Sichtfenster einer weißen Kachelwand üben Mädchen und Frauen auf einem Monitor das Neinsagen. Daß Widerstand nur mit Artikulation und dem Reden über die eigenen Erfahrungen beginnen kann, ist die Basis dieser Ausstellungsstation, in der nichts versteckt oder verdunkelt wird.

Gegen die Erfahrung der eigenen Schwäche und das Fortzeugen der Ängste anzugehen, bemühen sich die im Rahmenprogramm angebotenen Kurse für Selbstverteidigung. Doch während die Autorinnen zum sexuellen Mißbrauch immer wieder betonen, daß über achtzig Prozent der Täter aus der Familie und der engeren Umgebung stammen, bauen diese Kurse vielmehr auf dem Bild des Überfalls und eines alltäglichen Kampfes auf den Straßen auf. Selbstbehauptung wird oft auf das Training körperlicher Selbstverteidigung reduziert; am Eröffnungsabend fiel der Programmpunkt »Selbstbehauptung« übrigens wegen Grippe in den Taekwondo-Gruppe aus. Kurse und Workshops berühren die Komplexität gesellschaftlicher Defizite oft nur punktuell und kompensatorisch; um die Grenzen dieser sozialtherapeutischen Kultur zu überwinden, plagt sich das Projekt Mädchen in Sicht durch Vielseitigkeit, die teils in Oberflächlichkeit abrutscht.

Überall tauchen in der Ausstellung große und kleine Fotografien auf, auf denen Mädchen um die Ecke flitzen, sich auf Parkbänken lümmeln, tuscheln, lachen, herumgeiern. Diese Präsenz, die ihre Freundinnen mit der Kamera einzufangen wußten, verliert sich in den Kunstformen leicht. Die Stadt der Mädchen verlockt zu Entdeckungstouren. Katrin Bettina Müller

Mädchen in Sicht. Ausstellung bis zum 17. Februar in der Galerie im Körnerpark (Di. bis So. von 10 bis 17 Uhr) und in der Galerie im Saalbau (Di. bis So. von 11 bis 18 Uhr). Begleitprogramm siehe Kasten.

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