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Krieg um den Preis des Öls?

■ James Akins, ehemaliger US-Botschafter in Saudi-Arabien, zur Golfkrise DOKUMENTATION

James Akins sei „der gefährlichste Amerikaner im Nahen Osten“, behauptete einst der Palästinenser Abu Nidal und setzte ihn 1974 auf seine Todesliste. In der Tat gilt Akins als einer der profiliertesten Kenner der Region. Von 1961 bis 1965 war er politischer Berater der US-Botschaft in Bagdad, später erstellte er für 1972/73 den ersten Energieplan der USA, von 1973 bis 1976 war er Botschafter seines Landes in Saudi-Arabien. Nach einem Streit mit dem damaligen US- Außenminister Henry Kissinger zog er sich aus dem aktiven diplomatischen Dienst zurück, doch nicht von diplomatischen Aktivitäten: Am 8. Dezember suchte er — ohne offizielle Mission — den Irak auf. Wir dokumentieren ein Gespräch, das er kurz zuvor mit der italienischen Journalistin Giusi Ferrè führte:

Frage: In Washington erzählt man sich, daß die Intervention des Weißen Hauses am Golf vor allem auf die Kontrolle über die Ölquellen abzielt. Man sagt, dieser Plan sei eine Kopie eines Planes von 1975, den Sie damals als Botschafter in Riad ablehnten...

James Akins: In den Büros der Opec in Wien zirkulieren zur Zeit zwei Versionen desselben Witzes. Nach der ersten Version sind die USA das vierzehnte Mitglied der Opec, nach der zweiten hingegen das elfte, weil die Qatar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ausgetreten sind. Was heißt das? Ganz einfach. Heute bestimmen die USA die Politik und die Wirtschaft jener Länder. Der Witz scheint eine Übertreibung zu sein, aber er verbirgt eine in gewissen Kreisen bekannte Tatsache. Die Idee, sich der Ölquellen zu bemächtigen, wurde von 'Commentary‘ im März 1975 in aller Offenheit theoretisch durchgespielt.

In einer neokonservativen Zeitschrift, die scheinbar Henry Kissinger sehr nahestand. Was wurde da erörtert?

Die Besetzung der Ölquellen von Kuwait bis Dubai. Die Ausweisung der Araber und ihre Ersetzung durch Techniker aus Texas und Oklahoma. Wenn man die Förderung auf ein Maximum angehoben hätte, wären die Quellen nach zehn Jahren erschöpft gewesen, und dann hätte man sie den legitimen Besitzern zurückgegeben. Ebenfalls im März 1975 publizierte die Monatszeitschrift 'Harper's‘ ein Essay mit dem Titel Sich des arabischen Öls bemächtigen, unterzeichnet von Miles Ignotus.

Hinter dem Pseudonym verbirgt sich offenbar Edward Luttwack vom Zentrum für internationale strategische Studien der Universität von Georgetown...

Ich will nicht in Details treten, aber Ihnen die Substanz dieses Artikels erläutern. Unter anderem sah er die Entsendung der 82. Luftlandedivision vor: derjenigen also, die heute in Saudi-Arabien im Einsatz ist. In der Analyse wurde vor allem unterstrichen, daß „die einzig mögliche Gegenmacht zur Opec bezüglich der Kontrolle über das Öl die militärische Macht schlechthin ist“. Und weiter: „Das Problem besteht nicht darin, sich wie etwa in Nigeria oder Venezuela des Öls zu bemächtigen, sondern darin, die Opec zu sprengen. Deshalb müssen die Kräfte selektiv eingesetzt werden, um breite Zonen, wo sich die Ölreserven verdichten, zu besetzen. Wenn dies der eigentliche Sinn und Zweck ist, gibt es nur ein mögliches Ziel: Saudi-Arabien.“ Es wäre aber ungefähr folgendes passiert: Die Ölfelder wären über Sabotage gesprengt worden, und wir hätten Jahre benötigt, um den Schaden zu beheben. Gleichzeitig wäre im Westen die Industrie zusammengebrochen, während die Sowjetunion, die ja Erdöl exportiert, fast ohne Schaden davongekommen wäre.

Könnte sich das Szenario von 1975 denn heute wiederholen?

Ich bin überzeugt, daß Saddam Hussein nach der Invasion in Kuwait Saudi-Arabien nie angegriffen hätte. Verteidigungsminister Dick Cheney hingegen ist es gelungen, König Fahd zu überzeugen, daß eine Invasion unmittelbar bevorstehe und hat ihn dazu gebracht, jede Abneigung gegen fremde Truppen auf seinem Territorium zu überwinden. Aber war Cheney wirklich überzeugt, daß es so weit gekommen wäre? Oder wußte er, wie ich, daß diese Geschichte von einem bevorstehenden Überfall falsch war? Heute sagen die offiziellen amerikanischen Quellen: „Wir sind keine Invasionsarmee. Wir sind in Arabien, weil man uns gerufen hat.“ Man findet also immer einen Feind, auf den man sich berufen kann, wenn es um die Verteidigung der Ölquellen geht: Zuerst waren es die Sowjets, dann die Iraner, jetzt Saddam Hussein.

Wird nun also der alte Plan umgesetzt?

Ich will Ihnen einige Elemente für eine Einschätzung liefern. Die USA haben die Saudis bereits überredet, die tägliche Förderung um zwei Millionen Barrel zu erhöhen, und sie könnten sie noch zu einer weiteren Erhöhung überreden. Bei einer aktuellen Reserve von 280 Milliarden Barrel in Saudi-Arabien und weiteren 70 Milliarden in Abu Dhabi könnte die tägliche Förderung auf 20 Millionen Barrel gebracht werden. Der Preis des Erdöls könnte dann tief gehalten werden, wie es 1975 geschehen ist, und die Nachfrageseite, die Konsumenten also, wäre zufriedengestellt. Es wäre ein Preis von etwa 20 Dollar pro Barrel, das wäre viel weniger als heute, etwa ein Drittel des Preises von 1980. Bei dieser Fördermenge würden die Produktionskosten nicht mehr als zwei Dollar pro Barrel betragen. Die USA würden eine Art Prämie in Höhe von zehn Dollar pro Barrel erhalten, acht Dollar kämen den legitimen Besitzern zu. Mit diesem Geld könnten die USA nach der Bezahlung der Kosten für die Besetzung ihr jährliches Haushaltsdefizit von 70 Milliarden reduzieren. Nur die spanische Eroberung der Neuen Welt hat mehr eingebracht.

Zu welchen Reaktionen käme es?

Die internationale Stützung [des Erdölpreises über Opec-Absprachen, Anm. d. Red.] würde zusammenbrechen. Die Sowjetunion und England, die Erdöl exportieren, würden Marktanteile verlieren. Die USA könnten sich im Vertrauen auf ihre militärische Präsenz erlauben, die Probleme der anderen arabischen Förderländer zu ignorieren. Mit den Erlösen aus dem saudischen Öl würden sie finanziell Ägypten unterstützen, vielleicht auch Tunesien und Marokko. Wenn dies der Plan ist, so scheint er mir so verrückt wie vor 15 Jahren. Die Bevölkerung und die Armee Saudi-Arabiens würden der Plünderung ihrer Ressourcen nicht tatenlos zu sehen.

Nehmen wir mal hypothetisch an, es bricht ein Krieg aus und Saddam Hussein verliert ihn...

Ich garantiere Ihnen, daß in kurzer Zeit die amerikanischen Kasernen und die Förderanlagen in die Luft fliegen. Wir hätten hohe Verluste. Nein, ich bin nicht Optimist, was die Zukunft nach einem Krieg betrifft. Es gäbe Chaos, Gewalt, Sabotageakte, Terrorismus, Revolutionen. Niemand wäre imstande, die Ölquellen zu schützen. Und wenn es dort erst zu Sabotageaktionen kommt, hätte dies fürchterliche Konsequenzen für die ganze Welt.

Wie kann man einen Krieg vermeiden, ohne die Besetzung Kuwaits zu akzeptieren?

Die Vereinigten Staaten müssen mit Saddam Hussein direkt ins Gespräch kommen. Zwei Sachen müssen klar sein: Wenn der Irak sich nicht zurückzieht, wird es Krieg geben. Und ich stimme mit Bush noch in einem anderen Punkt überein: kein Tausch von Geld gegen Land.

Dann bleibt aber nicht mehr viel.

Es bleibt die politische Initiative. Hussein ist kein Verrückter und auch kein Selbstmörder. Wenn er einen Ausweg findet, wird er sich in keine Aktion stürzen, die seinen Sturz oder die Zerstörung seines Landes mit sich bringen könnte. Man muß also eine ehrenhafte Lösung finden. Ehre und Würde sind in der arabischen Welt wichtig. Am 12. August hat Saddam gesagt, der Irak werde Kuwait verlassen, sobald sich Israel aus den besetzten Gebieten zurückziehe. Man darf nicht — wie es das Weiße Haus weiterhin tut — behaupten, daß es zwischen dem ersten und dem zweiten Fall keine Verbindungen gibt. Es gibt welche, und sogar sehr enge. Und wenn wir uns an die UNO wenden, dürfen wir nicht vergessen, daß Israel gerade die Resolutionen der Vereinigten Nationen mißachtet. Wir könnten also Saddam mitteilen, daß wir uns nach seinem Rückzug dem europäischen und sowjetischen Vorschlag einer israelisch-arabischen Friedenskonferenz anschließen.

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