: Zeitschriften: Haberfeld/Blickpunkt/Zwielicht/der lichtblick/KuckucksEi
UTAKLEIN 1990 ist es in vielen Gefängnissen in einem Ausmaß zu Protestbewegungen und Aufständen gekommen, wie lange nicht mehr. Abgesehen von den Aktionen in England, Polen, Frankreich, hat sich in vielen deutschen Gefängnissen gezeigt welche Unzufriedenheit mit den Haftbedingungen besteht.
Obwohl die Presse reale Knastverhältnisse üblicherweise ignoriert, wurde in diesen Fällen ziemlich häufig berichtet (meistens lokal). Die Öffentlichkeit ist im großen und ganzen uninformiert. Forderungen von Gefangenen und Unterstützern/innen sind nicht bekannt, auch nicht, auf welchem Hintergrund Amnestieforderungen der verschiedensten Gruppierungen aufgestellt werden.
Berichte von Gefangenen selbst überwinden selten die Mauern. Außenstehende, die nicht direkt mit Knastarbeit zu tun haben, erfahren — abgesehen von der Knastseite der taz — kaum etwas von den Betroffenen.
Im folgenden sollen einige neue Ausgaben von Gefangenenzeitungen vorgestellt werden. Einige von ihnen beschäftigen sich mit Themen, die bei den Aufständen im Mittelpunkt stehen.
„Ungewöhnliche Wetterlage“
Der Titel der Dokumentation über die Auseinandersetzungen in einem der finstersten Gefängnisse, der JVA Straubing, spielt an auf die Äußerung der bayerischen Justizministerin Frau Berghover-Weichner über die erschütternd vielen Suicide. Als sich Anfang diesen Jahres innerhalb von zwei Monaten vier Inhaftierte der JVA Straubing das Leben nahmen und die Presse aufmerksam wurde, stellte sie die Verzweiflungstaten in einen Zusammenhang mit dem „lauen Frühjahrswetter“.
Die Dokumentation ist keine Gefangenenzeitung. Bayerische Gefangenenzeitungen dürfen, so es sie gibt, nicht an die Öffentlichkeit und können nur schwerlich als Sprachrohr von Inhaftierten bezeichnet werden. Ende 1985 hatte sich darum eine Zeitung namens 'Haberfeld‘ gegründet, die außerhalb der Mauern und dafür unzensiert erschien. Die Beiträge stammten von Gefangenen. Im vorliegenden Heft Ungewöhnliche Wetterlage wird die Entstehung von 'Haberfeld‘ im Rückblick dokumentiert. Interessant sind die damaligen Anträge der Anstaltsleitung Straubing, den Kontakt eines Inhaftierten nach draußen zu unterbinden. Nachdem der Schrift- und Besuchsverkehr des Gefangenen G.L. mit einem Ansprechpartner draußen, der 'Haberfeld‘ vervielfältigen und verteilen wollte, verboten worden war, beantragte die Anstaltsleitung das gleiche für den neuen Ansprechpartner. Ein inzwischen entlassener Redakteur der Gefangenenzeitung 'Klette‘ aus Mannheim wollte bei der Organisation und dem Druck von 'Haberfeld‘ helfen. „Diese Handlungen, Planungen und Ziele hinsichtlich der Erstellung und Verteilung einer bayerischen ,Knastzeitung‘ stören die Anstaltsordnung der Justizvollzugsanstalt Straubing in erheblichem Maße und müssen... im Keim erstickt werden“, so die Begründung der Anstaltsleitung.
...müssen im Keim erstickt werden
Schwerpunkt der Dokumentation sind die Auseinandersetzungen in Straubing, die 1989/90 für erheblichen Wirbel sorgten. Mit dem Titel Die Hölle von Haus III hatte die Zeitschrift 'Prinz‘ im Oktober 1989 die öffentliche Diskussion um die zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka in der psychiatrischen Abteilung in Straubing eröffnet. „Auf diese Abteilung kommen außer Suicidgefährdeten auch Gefangene, die den reibungslosen Ablauf im alltäglichen Vollzug stören“, berichteten Inhaftierte. Gefangene wandten sich per Petition an den Landtag, an die Grünen, an amnesty international. Ein Untersuchungsausschuß wurde gefordert, um die Zustände in der JVA Straubing zu klären (siehe auch Nachdruck des ausführlichen taz-Berichtes von Norbert Jeschke). Die Situation spitzte sich im Frühjahr diesen Jahres zu, als der Gefangene Zlof nach Kaisheim zwangsverlegt wurde. Er hatte auf Wunsch der Gefangenen den Wortlaut der Petition verfaßt und war als sogenannter „Rädelsführer“ abgschoben worden. Die SPD forderte inzwischen eine Beurlaubung des Anstaltsleiters. Die Dokumentation endet mit den Protesten 1989/90. Das Ergebnis der Anhörung, die neuen Aufstände, die Dachbesteigung von Anfang August und die anschließende Verlegung von einer Reihe von Gefangenen in andere Gefängnisse werden in Teil 2 veröffentlicht.
'Haberfeld‘, Ungewöhnliche Wetterlage, Dokumentation der Straubinger Knastkämpfe, Teil 1; AKP c/o GIK, Postfach 250401, 5 Köln 1; 15 D-Mark für Außenstehende zur Finanzierung kostenloser Exemplare für Gefangene und eines Unterstützungsfonds für die zwangsverlegten Inhaftierten.
'Blickpunkt‘: Drogen im Knast
Unter der äußerst schlechten Aufmachung leidet bedauerlicherweise der Inhalt des nach langer Pause wieder herausgegebenen 'Blickpunkt‘. Die Redaktion benötigt dringend eine neue Druckmaschine (Spenden!), aber nicht nur wegen des schlechten Druckbilds sind die Texte schwer lesbar. Ohne in einzelne Beiträge untergliedert oder durch Zwischenüberschriften optisch aufgelockert zu sein, setzt das über hundert Seiten starke Heft hohes inhaltliches Interesse der LeserInnenschaft voraus.
Das ist schade, denn die Beiträge sind informativ, hintergründig und detailliert. Der erste Teil der Ausgabe widmet sich hauptsächlich der Drogenproblematik im Knast und der Haftsituation ausländischer Gefangener. Informationen über „Therapie statt Strafe“ für Drogenabhängige, Bestimmungen der Versicherungen über die Finanzierung von Therapien und Einblick in das Ausmaß der Drogenabhängigkeit in Gefängnissen verbinden sich mit sehr konkreten Beschreibungen der Haftsituation, die zur psychischen Zermürbung führt. Überlegungen, welche kurzfristigen Maßnahmen dem abhelfen könnten, fehlen nicht.
Aus aktuellem Anlaß hat die Redaktion das an sich schon fertiggestellte Heft um einen zweiten umfangreichen Teil zu den Aufständen erweitert. Der Ausstandsforderungskatalog der Insassen ist abgedruckt. Schwierig ist der Informationsstand über die Situation nach dem Aufstand. Die Redaktion berichtet von der Verlegung von 25 Inhaftierten, von denen einige bis Bruchsal und Freiburg „verschubt“ wurden. Die einzelnen Punkte des Forderungskatalogs werden erläutert und auch die Hintergründe, die zu diesen geführt haben. In der Chronologie eines Aufstandes lassen sich die Ereignisse im Mai und Juni noch einmal nachlesen.
'Blickpunkt‘, Am Hasenberge 26, 2 Hamburg 63, gegen Spende/für Gefangene kostenlos.
„...durch Zwangsmaßnahmen hergestellte Ruhe“
Sowohl die Konferenz der evangelischen Pfarrer als auch die Konferenz der katholischen Seelsorger an den Justizvollzugsanstalten wandten sich Mitte November an die Justizverwaltungen der Länder — im Wortlaut abgedruckt in 'Zwielicht‘ von Dezember. Vorstand und Beirat beider Konferenzen stellen fest, daß die Gefangenen sich bei den Protestaktionen in den meisten Fällen um Gewaltfreiheit bemüht hatten. Dagegen sei von Behörden und Sicherheitskräften „überreagiert“ worden, man hätte „es am nötigen Augenmaß“ fehlen lassen. Gefangene seien mit Gewalt in ihre Zellen gebracht worden. Hungerstreikende habe man in psychiatrische Abteilungen der Vollzugskrankenhäuser gebracht, dies sei „ein Mißbrauch der Psychiatrie“.
Weiterhin stellen beide Konferenzen dar, die Forderungen der Gefangenen seien „keineswegs abwegig“, gerade die Forderungen nach tariflicher Entlohnung der Arbeit und nach der Übernahme in die Renten- und Sozialversicherung würde von den Konferenzen seit langem erhoben. Kritisch sieht die Konferenz auch den Umgang mit den Gefängnissen der neuen Bundesländer. Bezüglich der Bezahlung und der Versicherung waren die Gefangenen dort besser gestellt als vor der Übernahme der hier geltenden Bestimmungen. Abschließendes Ergebnis: „Wir sind der Auffassung, daß die durch Zwangsmaßnahmen hergestellte Ruhen in den Justizvollzugsanstallten keinesfalls beruhigend ist, sondern befürchten, daß Ausmaß und Intensität der Auseinandersetzungen sich steigern könnten, wenn die Justiz ihren eigenen Zielvorgaben nicht deutlicher entspricht.“
Darüberhinaus druckt das 'Zwielicht‘ einen Antrag der Grünen Baden-Württembergs für eine Amnestie ab. Zwar ist inzwischen diese Hoffnung längst erloschen, aber Einzelforderungen, wie Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, werden, getragen auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen, nicht aus dem Blickfeld geraten.
'Zwielicht‘, Hinzistobel 34, 7980 Ravensburg. 2 D-Mark in Briefmarken oder Spenden/für Gefangene kostenlos.
Die Opfer der Vereinigung
Die anfänglichen Proteste in den DDR-Gefängnissen waren in Zusammenhang mit Amnestieforderungen ausgelöst worden. Inzwischen macht den Gefangen zu schaffen, daß mit der Vereinigung auch die bundesdeutschen Regelungen für den Strafvollzug übernommen wurden. Im 'Lichtblick‘ dokumentiert das Protokoll einer Gesprächsrunde in der Strafvollzugseinrichtung Rummelsburg, an der außer 150 Gefangenen unter anderem der Leiter der StVE, Mitglieder der AL, Vertreter der Senatsverwaltung für Justiz teilnahmen, die Stimmung der Gefangenen in den ehemaligen DDR-Gefängnissen. Punkt für Punkt fragt ein Mitglied des Gefangenenrates die auf sie zukommenden Veränderungen ab. In Zukunft sind die Inhaftierten der neuen Bundesländer ebenfalls nicht in die Renten- und Krankenversicherung einbezogen. Die Vergütung der Rummelsburger Gefangenen betrug zum Zeitpunkt des Gesprächs noch zwischen 18 und 26 Prozent des „normalen“ Lohnes, inzwischen wird auch hier angeglichen sein: In der Bundesrepublik beträgt die Vergütung 5 Prozent des Durchschnittssatzes. Neben gravierenden Änderungen des Haftalltags sind dies die beiden schlimmsten Nachteile. Abgedruckt sind in der Zeitung auch die Forderungen von 84 Frauen aus der JVA Plötzensee.
Ausführliches Thema des Heftes ist weiterhin Aids. Ein Tag Haft im „Leben“ eines Positiven macht die furchtbare Qual eines Drogenabhängigen mit HIV deutlich. 23 Stunden Einschluß in Untersuchungshaft, Entzugserscheinungen, Jucken am ganzen Körper, weil das Virus die Haut austrocknet, Pilzinfektionen, ständiges Frieren, schweißgebadetes Erwachen in der Nacht. Bei der erstbesten Gelegenheit wird wieder gedrückt, die Spritze wieder weitergereicht.
'der lichtblick‘, Seidelstr. 39, 1 Berlin 27, für Gefangene kostenlos.
Amnestie überflüssig?
Kaum eine Fehlinformation über den Strafvollzug hält sich so penetrant, wie die Fehlinformation über die lebenslange Freiheitsstrafe. Wer interessehalber mal im Bekanntenkreis und am Arbeitsplatz rumfragt, bekommt Erstaunliches zu hören. „Lebenslänglich“ bedeuten mal 15 Jahre, mal 20 Jahre, mal sogar nur 10 Jahre. Im Zusammenhang mit den Amnestieforderungen in der DDR war solch ein Irrglaube sogar von Politikern zu hören. In der (damaligen) Volkskammer äußerte zum Beispiel der Parlamentsvizepräsident, eine Amnestie für die Lebenslänglichen sei überflüssig, da ab dem 3.Oktober die bundeseinheitlichen Bestimmungen gelten würden. Dadurch würden die Freiheitsstrafen in fünfzehnjährige Haftstrafen umgewandelt.
Da dem nicht so ist und lebenslänglich immer noch lebenslänglich heißt und die Haftstrafe allenfalls nach mindestens 15 Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden kann, gibt es eine Reihe von Initiativen, sie abzuschaffen und durch Zeitstrafen zu ersetzen.
Das 'KuckucksEi‘ widmete die beiden letzten Hefte diesem Thema und hatte damit soviel Erfolg, daß die erste Auflage gleich nachgedruckt werden mußte. Betroffene kommen zu Wort. So schildert die Ehefrau eines Lebenslänglichen die Problematik einer Liebesbeziehung, die ausschließlich durch Briefe und wenige Stunden Besuch aufrechterhalten werden muß. Nach jahrelangem Wechselspiel von „Aufleben und Frust“ verfiel nach sieben Jahren Inhaftierung ihr Partner in tiefe Resignation, Rückzug und Sprachlosigkeit. Sie hat den Kontakt nie aufgegeben, aber konnte nur warten, bis ihr Mann neuen Durchhaltewillen faßte. Der Begriff Lebenslänglich ist nicht zu begriefen, es ist ein „Tod auf Raten“, wie aus den Berichten Inhaftierter deutlich wird.
Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ veranstaltete vor einiger Zeit ein Symposium Wider die lebenslange Freiheitsstrafe. Statements dieser Tagung sind im 'KuckucksEi‘ abgedruckt.
Inzwischen ist die jährlich von der Redaktion herausgegebene Kreativ- Sonderausgabe erschienen. In dem inzwischen im elften Jahr erscheinenden Schwerpunktheft sind Gedichte und kurze Erzählungen gesammelt.
'KuckucksEi‘, Gillstr. 1, 5840 Schwerte 4; 4,50 D-Mark, für Gefangene kostenlos.
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