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Kinder, Killer, Kokain

■ »King of New York« von Abel Ferrara im Eiszeit

Die Bluesbrothers retteten 1979 ein Waisenheim vor dem finanziellen Ruin. Zehn Jahre später setzt Christopher Walken als Gangsterboß Frank White alles daran, 16 Millionen Dollar für ein bankrottbedrohtes New Yorker Kinderkrankenhaus aufzutreiben. Doch wo die Blues Brothers unter dem johlenden Motto »Gib Gas, wir wolln Spaß« agierten, verzieht Frank White keinen Gesichtsmuskel. Ihm ist die Angelegenheit bitter ernst: »Wenn die das Geld nicht haben, besorge ich es. Und wenn ich dafür 500 Leute umbringen und mit Tonnen von Drogen handeln muß, dann ist das eben verdammtes Pech.« Seine Rivalen im Drogengeschäft haben daraufhin tatsächlich sehr viel Pech, aber nicht viel zu lachen. Immerhin können sie zwischen drei Möglichkeiten wählen: vereinigen, verpissen oder verrecken. Letzteres ist im Regelfall ziemlich blutig.

Abel Ferrara, Fachmann auf dem Gebiet des Kugelhagels, liefert Durchsieb-Arbeiten nur in Topqualität. In dem 1979 entstandenen Erstling Driller Killer jagt er einen Maler zuerst in den Wahnsinn und dann mit einer Black & Decker auf die Straße. Die Frau mit der 45er Magnum startet nach einer Vergewaltigung einen Rachefeldzug gegen die Männerwelt. In Fear City — Manhattan 2 Uhr nachts läßt Ferrara einen durchgeknallten Killer auf einen abgewrackten Boxer los und in China Girl — Krieg in Chinatown geht es um Bandenkrieg. Zwischendurch drehte Ferrara auch schon mal einige Episoden von Miami Vice, um Geld für Projekte zusammenzukriegen, die ihm am Herzen liegen, wie eben King of New York.

Bevor Frank White per Kinderkrankenhaus zum allseits gefeierten König von New York aufsteigt, brachte er es zum Knastkönig, der mehr Jahre innerhalb als außerhalb der Gefängnismauern lebte. White ist Weißer, seine Gang eine multikulturelle Zusammenstellung, die überwiegend ins Schwarze lappt. Aber Herkunft und Hautfarbe spielen bei der großen Verteilungsschlacht keine Rolle. White hat einfach die Besten um sich geschart, um die Frage »Wem gehört die Stadt?« eindeutig zu beantworten. Italiener, Kolumbianer und Chinesen lehnen Whites Beitrittsangebote ab und werden folgerichtig beiseite gepustet. Traditionell monorassische Gruppen haben gegen innovatives, multikulturelles Gemetzel keine Chance. Der Hip-Hop-Killer der Truppe erledigt seine Arbeit so schnell und überzeugend wie Public Enemy das Scratschen. Auch die Iren, also die New Yorker Cops, müssen das anhand verschiedener Einschüsse am eigenen Leib erfahren.

Frank White geht gnadenlos seinen Weg in Richtung Wohltätigkeit. Ein Herz für Kinder. Das Kinderkrankenhaus darf nicht sterben. Unbeirrbar zieht er seine Gutherzigkeit durch — ein schöner Kontrapunkt im derzeitig unübersichtlichen Spenden-Allerlei. Der Wohltäter besorgt den dicken Geldbatzen und basta. Man soll ihn nur in Ruhe lassen. Sonst muß er sich eben Ruhe verschaffen. Er kann es einfach nicht verstehen, daß man ihm ständig in die Quere kommt. Ruhestörer werden zersiebt. Nicht umgelegt, sondern richtiggehend durchlöchert und in Fleischfetzen zerschossen. Womit wir doch noch bei dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung gelandet sind. Aber wer vom grausamen Musikantenstadl nicht reden will, soll auch vom Gangsterfilm schweigen. Anders gesagt: Ferarra ist in der Bronx aufgewachsen und weiß, was er filmt: »Das, was ich zeige, passiert in jeder Minute überall auf der Welt. Bei mir in der Nachbarschaft werden jede Nacht zwei oder drei Menschen erschossen, einfach so, wegen ein paar Doller oder ein paar Gramm Crack. Ich zeige nichts anderes als das, was wir alle kennen und wissen.«

Ferrara zeigt es so, daß einem die Unterweltromantik ein für allemal ausgetrieben wird. Die Beleuchtungstechnik dazu hat er direkt von Schlachthöfen und Tiefkühlhäusern übernommen. Kein Platz für Sonnenschein und Freundlichkeit. Volker Gunske

King of New York (USA/Italien, 1990), Regie: Abel Ferrara mit Christopher Walken, David Caruso, Larry Fishburne, ab heute bis zum 9. Januar um 22 Uhr im Eiszeit (OF).

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