: Die Renaissance eines Un-Ergebnisses
■ Wilde Liga Bielefeld: Saisonverlauf von zwei vollständig torlosen Unentschieden überschattet/ Catalan Salto verliert im Dezimalsystem/ Abgehalfterte Arminia droht mit Zaunterror
Bielefeld (taz) — Seit der Saison 82/83, als die Begegnung zwischen Keine Panik und Partisan Ekstase torlos blieb, galt es als ausgerottet. Das 0:0, vom Fußballfan gefürchtet wie vom Teufel das Weihwasser. Doch plötzlich kehrte es aus heiterem Himmel zurück. In der ersten Pokalrunde, das Los hatte die Sieker Löwen und Forum Enger zusammengeführt, passierte es. Das Zusammenwirken von Pfosten, Latte, Pech, spielerischem Unvermögen und glänzenden Torhütern kulminierte zu Ungeheuerlichem: in einem Fußballspiel der Wilden Liga war kein Tor gefallen.
Als könnten sie die Schändlichkeit ihres Treibens gar nicht fassen, vergaßen die frustrierten Alternativ- Balltreter sogar die fällige Verlängerung und schlichen verschämt nach Hause. Wahrscheinlich wäre die ruchlose Nulldiät bis zum Wiederholungsspiel geheim geblieben, hätten nicht zwei zufällig anwesende neutrale Beobachter die Kunde von der Schandtat in Windeseile in der ganzen Stadt verbreitet.
Ganze fünf Spieltage waren absolviert, als das Un-Ergebnis ein zweites Mal zuschlug. Ausgerechnet Spiel mir das Lied vom Tor und die Schwarz-Roten Vollidioten, sonst eher Garanten für offensive Spielweise und 7:5-, mindestens aber 4:3-Resultate, wiederholten das Unaussprechliche. Da nutzte es wenig, daß der bis dahin nicht ein einziges Mal ernsthaft geprüfte Torwart der Schwarz-Roten in letzter Sekunde doch noch das Unvermeidliche zu verhindern suchte, indem er einen ins Toraus irrenden Stürmer in der 90. Minute ohne Not unsanft von den Beinen holte. Sein fouler Eingriff ins Schicksal blieb wegen des verschossenen Elfmeters ungesühnt.
Wegen Feigheit vor dem gegnerischen Tor sollten die Mannschaften daraufhin an den DFB ausgeliefert werden. Da alle betroffenen Teams aber bisher stets überaus torhungrig agiert hatten (u.a. Schwarz-Rot 15:0 gegen Balla-Balla), wurde die Strafe in letzter Instanz zur Bewährung ausgesetzt. Für die positivste Überraschung der Saison sorgte Lok Lattenschuß. Nach dem kollektiven Niedergang der Ost-Lokomotiven hat sich die Bielefelder Lok, befreit vom ideologischen Juso-Ballast früherer Jahre, mittlerweile zu einem Tabellenraser entwickelt, der nur einmal aus den Gleisen gekippt wurde.
Kraw All Stars hießen die Übeltäter, die bisher als einziges Team verlustpunktfrei blieben und dabei neben der Lok auch die Torfabrik (73 in zwölf Spielen) des Vorjahresmeisters U 41 bezwangen (3:2). Auf dem Weg zum zweiten Titel nach 1988 können die Krawaller nur noch von sich selbst oder von Partisan Ekstase gestoppt werden. Partisan, dank vorzüglicher Einkaufspolitik so etwas wie der FC Bayern der Liga, hat mit den Krawallstars noch eine alte Rechnung offen. Den bis heute nicht vergessenen gemeinen 0:6-Hinterhalt im letztjährigen Pokalfinale.
Während sich Ajax Aufruhr, nach Blitzstart von der Tabellenspitze weggeputzt, im Mittelfeld ausruht, könnte ein anderes Team zum Geheimtip avancieren. Sollte es den Dauerläufern von Sollte Schießen endlich gelingen, ihren Mannschaftsnamen zu beherzigen, steht einer Umbenennung in Könnte Meister Werden nichts mehr im Wege.
Spannend auch der Kampf um den letzten Rang, der am Saisonende traditionell mit einem Trainingsball belohnt wird. Catalan Salto, seit Jahren am Tabellenende, konnte es bislang mit einem winzigen Pünktchen Vorsprung vor Jumping Jack Flash und dem frechen Neuling Balla-Balla halten. Seit Catalan-Trainer Abramczik seine Mannen optimal auf das „Dezimalsystem“ eingestellt hat, wie 90 Gegentreffer in neun Partien trefflich beweisen, läuft es bei den Jungs aus Steinhagen. An Wettbewerbsverzerrung erinnert dagegen die unlautere Methode, mit der Lokomotive Glücksbier seine Minuspunkte sammelt. Man tritt nicht an, verliert am grünen Tisch. Sollte derart unsportliches Verhalten am Ende etwa mit einem Ball belohnt werden?
Großes Unheil droht der Wilden Liga inzwischen auch von der im letzten Jahr gewendeten städtischen Verwaltung. Von den fünf Rasenplätzen an der Radrennbahn, dem sonntäglichen Domizil der Bielefelder Freizeit-Kicker, sollen zwei für den heruntergekommenen Oberligisten DSC Arminia eingezäunt werden. Arminia, bis 1985 stolzer Bundesligist, krebst heute im unteren Mittelfeld der Westfalenliga herum und will mit einem hohen Zaun um das Trainingsgelände wieder an alte Glanzzeiten anknüpfen. Einige alte Kämpfer aus der Wilden Liga, die einst in Wackersdorf oder an der Startbahn West einschlägige Zaunerfahrung sammelten, kündigten bereits Widerstand an. Roger Krenz (Ajax Aufruhr)
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