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Vorkämpferinnen der Bremer Geschichte

■ Über vaterlandslose Gesellinnen, das Verbrechen der Fruchtabtreibung und unbezahlte Sozialarbeit

Frauen sind KämpferInnen-Naturen. Hinlänglich bekannt ist, daß sie meistens — in der Geschichte wie heute — ihre Kräfte im Privatleben verschlissen haben. In den Geschichtsbüchern kommen sie so gut wie gar nicht vor. Das hängt nun wiederum damit zu

hier bitte das

alte Plakat

Plakat der KPD von 1924

sammen, daß die Geschichtsschreiber Männer sind. Denn auch Frauen haben Geschichte gemacht, waren aufmüpfig, laut, penetrant — gegen alle Erwartungen.

Mit Frauengeschichte und Frauengeschichten in Bremen von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Zeit nach dem zweiten Weltkrieg befaßte sich im Wintersemester 1989/90 die Wissenschaftliche Einheit Frauenforschung (WEFF) an der Hochschule Bremen. Die Vorträge sind Ende vergangenen Jahres als Buch erschienen. Unter dem Titel Frauen — Geschichte — Bremen beleuchten die sechs Verfasserinnen Beispiele weiblicher Selbstverwirklichung, Arbeit, Kunst und politischen Engagements in Bremen.

Da ist Betty Gleim, älteren Bremerinnen ausgerechnet als Verfasserin eines Kochbuches bekannt. O heilige einfältige Einfalt! Kann denn die Weisheit keine Suppe kochen, deshalb, weil sie Weisheit ist? Die 1806 geborene Kaufmannstochter veröffentlichte rund zwanzig pädagogische Schriften. Darin entwickelt sie eine Theorie der Mädchenbildung, die den Eltern entschieden empfielt, Töchter nicht von Privatlehrern unterrichten zu lassen, sondern wegen der besseren Methoden und umfangreicheren Möglichkeiten an sozialer Erfahrung auf eine gute Schule zu schicken.

„Bildung für alle: Für das Weib wie für den Mann“

Das Wesen der ächten Geistescultur besteht in dem richtigen Verhältnis der intellectuellen, ästhetischen und moralisch-religiösen Bildung. Auf solche Bildung haben nun alle Menschen Anspruch; das Weib so gut wie der Mann, der Arme so gut wie der Reiche; der beschränkte Mensch so gut wie der geniale. Sie selbst gründete eine Schule für höhere Töchter und fällte eine bewußte Entscheidung gegen Ehe und Familie: Sie löste ein Verlöbnis, um sich ganz ihrer Schule widmen zu können.

Die Pazifistin Auguste Kirchhoff (1867-1940) kämpfte ihr Leben lang gegen Krieg, Faschismus und die Benachteiligung von Frauen. Dadurch lenkte sie die Kritik ihrer eigenen Schicht auf sich, weil sie mit ihren sozialen Taten und Gedanken — beispielsweise einem Mütter- und Säuglingsheim — den Traditionen der eigenen Klasse widersprach. Sie

war mit einem Bremer Senator verheiratet, scheute sich jedoch nicht, in den Ruf einer „vaterlandslosen Gesellin“ zu geraten. 1917 schrieb sie: Haben wir nur ruhig den Mut, unseren Kindern den Krieg zu zeigen, wie er wirklich ausschaut. Unsere Jugend soll ihn sehen in seiner ganzen furchtbaren Grausamkeit, in seiner brutalen Härte, als unerbittlichen Mörder allen Erdenglückes, alles Wohlstandes, aller Menschenkultur und Menschengesittung.

„Der Krieg, der unerbittliche Mörder allen Erdenglücks“

Das Büchlein war bis nach dem Krieg verboten. 111 Aufsätze in Zeitungen und Zeitschriften begleiteten ihre Arbeit in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, im Bund für Frauenstimmrecht und im Bund für Mutterschutz und Sexualreform. Ihre Veröffentlichungen sind erschreckend aktuell. 1924 berichtete Auguste Kirchhoff den BremerInnen von einem Chemiker-Kongress in Washington, wie im Kriegsfall jede Farbenfabrik in wenigen Stunden in ein Giftgaswerk umgewandelt werden kann.

Spannend wird das Buch überall dort, wo Original-Töne von Kampfreden, Faksimiles von Plakaten oder Aufrufen und Stellungnahmen aus Behörden und der Bremer Polizei bis hin zu dem Protokoll einer Bürgerschaftsdebatte die jeweilige politische Stimmung — und gemessen daran den jeweiligen Mut der Frauen — dokumentieren.

Frauen wollten arbeiten. In Notzeiten waren sie es, die Hilfe organisierten und sich dadurch eine mehr oder weniger anerkannte, wenn auch nicht bezahlte, Tätigkeit verschafften. Anfang des 19. Jahrhunderts pflegten „Patriotische Frauenvereine“ die Kriegsverletzten aus den Kriegen gegen Napoleon, organisierten Hilfe bei Seuchen und richteten Suppenküchen für Arme ein, die im Zuge der Industrialisierung immer mehr wurden.

Erst im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich die Erkenntnis, daß soziale Arbeit eine Ausbildung erforderte. Der Frauenerwerbsverein (FEV), noch heute aktiv, richtete eine Krankenschwesternausbildung, Haushaltsschulen und Häuser für „gefallene Mädchen“ ein. Schon früh war die Armenfürsorge und Wohlfahrtspflege für Frauen nicht nur eines der wenigen Felder beruflicher Selbstverwirklichung (und Selbstausbeutung), sondern auch Ursache und Ziel sozialpolitischer Forderungen.

Minutiös, u.a. anhand Bremer Polizeiakten erschlossen, zeichnet ein Aufsatz den Frauenkampf in der Weimarer Republik gegen den Paragraphen 218 nach. Hunger, Inflation, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot ließen viele Frauen den verzeifelten Weg zur Engelmacherin gehen. Schätzungen gehen für 1930 von einer Million Abreibungen in Deutschland aus, von denen 44.000 tödlich verliefen.

In Bremen wurden von 1919 bis 1924 126 Personen wegen Abtreibungen verurteilt. 1923 wird ein Antrag einer KPD Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft abgelehnt, eine Amnestie für die wegen Abtreibung Verurteilten zu erlassen.

Geschichte, so lernt die Lerserin, macht nur Sinn als Geschichte konkreter Personen, ihrer Ideen, Schriften, Taten an einem bestimmten Ort — hier Bremen — unter bestimmten Verhältnissen. Dabei wird deutlich, daß gerade unter extremen Verhältnissen — Krieg und Armut — es oft die Frauen sind, die ohne Opportunismus und ohne Rücksicht auf ihren „Ruf“ nein sagen und sich engagieren, weil sie dem realen Lebenskampf ihrer Geschlechtsgenossinen — als Folge der von Männern gemachten Gesetze — näher sind als Männer. Trotz der vielen, manchmal zu akademisch anmutenden Daten, Zahlen und Analysen bleiben die Verfasserinnen immer nah am Geschehen und — nah am Gefühl. Beate Ramm

Renate Meyer-Brauen (Hrsg.), Frauen — Geschichte — Bremen, zu beziehen im Buchhandel oder bei der Herausgeberin an der Hochschule Bremen, Tel. 5905-170.

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