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ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Regionaler Eigensinn - Eine zweite Chance für den Irish Folk

Auch das Gegenteil ist richtig: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Die irische Volksmusik kann davon ein Lied singen. Schon Anfang der siebziger Jahre stand der Irish Folk hoch im Kurs. Im Zuge des Folk-Revivals lernten wir die Dubliners, die Chieftains und Planxty kennen. Heute beschert der Worldmusic-Boom den diversen Volksmusiken der Welt eine nie dagewesene Beachtung, nur von der irischen Musik will niemand mehr etwas wissen. Über den Kreis der harten Irland-Fans kommt der Folk von der grünen Insel kaum mehr hinaus, und das trotz Sinead O'Connor und den Pogues. Hat man die irische Folklore bereits abgehakt?

Das wäre voreilig und ungerecht, wie ein paar neue Platten zeigen, denn die Känge aus Irland besitzen alles, was uns an der anderen ethnischen Musik so gefällt: Intensität, Drive — und vor allem: viel regionalen Eigensinn. Den beweist etwa die Gruppe De Dannan, die aus der ländlichen Kultur um Galway kommt und zu den beständigsten und bekanntesten Ensembles des Irish Folk zählt. Seit 1974 sind sie mit von der Partie und haben es durch wechselnde Besetzungen geschafft, auch heute noch frisch und überraschend zu klingen. Neben den obligaten Tanznummern — den jigs und reels —, von Frankie Gavin auf der Fiddle schwungvoll angestimmt (er ist auch auf Elvis Costellos letzter Platte zu hören), haben die sechs Iren noch anderes im Tourneegepäck: politisch engagierte Songs, originelle Bearbeitungen klassischer Musik sowie tränenreiche „Laments“ mit schwermütigen Melodien, die ein Pathos wagen, das sich heute niemand mehr traut.

Eine Band ähnlicher stilistischer Ausrichtung ist Skylark, die im Kern nur aus drei Musikern besteht. Zu ihrer aktuellen Produktion haben sie Gastmusiker eingeladen, die mit Tin Whistle, Geige und Akkordeon Len Grahams sonore Stimme begleiten. In ihren Liedern bevorzugen Skylark den getragenen Ton der poetischen Songtradition Irlands, während sie bei den Instrumentaltiteln eine schnellere Gangart einschlagen. Unter ihnen befinden sich zwei Polkas, die aus dem Südwesten von Donegal stammen, wo sie von den dortigen Fiddlern aufgegriffen und ihrem regionalen Geigenstil einverleibt wurden. So intensiv wie diese beiden Stücke gestaltet sich auf dieser Platte nur noch ein reel, das allein von Geige und Akkordeon gespielt wird und sich als atemberaubendes Rennen durch die verschnörkelte Ornamentik dieser Tanzweise entpuppt, bei dem Ziehharmonikaspieler Mairtin O'Connor seine Extraklasse unter Beweis stellt.

Nicht weniger virtuos agiert Noel Hill auf der Concertina, der kleinen Schwester des Akkordeons. Sie hat in der irischen Musik einen hohen Stellenwert und ist weit verbreitet. Weil sie so klein und billig war, wurde sie vor allem in der Unterschicht gespielt, von Bergarbeitern und Matrosen, die es oftmals zu beachtlichen Fertigkeiten auf dieser Handorgel brachten. Besondere Fertigkeiten besitzt auch Noel Hill, der als der beste Concertinaspieler der grünen Insel gilt. Er hat mit Christy Moore und Planxty gespielt und widmet sich mit seinem komfortablen Können speziell dem Erbe der alten ländlichen Tanzmusik, die er spannend präsentiert.

Weniger die Traditionspflege, vielmehr die Weiterentwicklung der Überlieferung hat die Gruppe Alias Ron Kavana im Auge, eine Band, welche noch am ehesten mit den Pogues zu vergleichen wäre. Allerdings kultivieren sie nicht deren punkigen „Leck-mich-am-Arsch“-Standpunkt, für den sie viel zu alt sind. Aber auch sie setzen die Tradition der Zugluft der Moderne aus, bürsten sie mit rauhen Rockelementen auf, würzen sie mit scharfer Salsa und schlagen darüber hinaus in ihren Texten einen ironischen bis sarkastischen Ton an, der dem Heile-Welt-Bild eines ursprünglichen, guten Irland — das teilweise aus der traditionellen Musik spricht — einen Knacks gibt. Bei Ron Kavana erscheint einem die grüne Insel gar nicht mehr so grün.

Platten:

—De Dannan: A Jacket of Batteries. TÜT CD 72.145

—Skylark: All of it. TÜT CD 72.139

—Noel Hill: The Irish Concertina. Claddagh Records CCF 21 (Bezug: Wundertüte Musik, Bergstr. 28, 3401 Ebergötzen)

—Alias Ron Kavana: Think like a Hero. Chiswick Records Wik 88

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