: Der sechste Gatte
■ Die Woolworth-Erbin und der Tennisbaron WIR LASSEN LESEN
Tennis ist toll“, behauptet die Presseabteilung des Herbig- Verlages kühn und möchte darum gern auf den „Gentleman von Wimbledon“, Gottfried von Cramm, aufmerksam machen. Von Cramm, von Cramm? Ach ja, jener vorzeitliche Boris-Becker-Ahn, der damals, als Tennis noch in langen Hosen gespielt wurde, so gottverdammt fair war, daß er niemals Wimbledon gewann. Na ja. „Ein Geheimtip ist das Kapitel über seine Ehe mit der Millionärin Barbara Hutton.“ Geheimtip? Barbara Hutton? Jene Woolworth-Erbin, die sich in dritter Ehe so wunderbar mit Cary Grant in den Haaren gelegen hatte? Das ist natürlich was anderes. Also her mit dem Schmöker, Kapitel 12, Seite 177: Hochzeit in Paris“.
„I loved you the first time I laid eyes on your face“, schrieb die kapriziöse Millionärin dem feschen Baron im Jahre 1937, nachdem sie gerade ihre ersten Ehen mit einem georgischen Prinzen und einem dänischen Grafen hinter sich gebracht hatte. Von Cramm schien auf den ersten Blick weniger beeindruckt gewesen zu sein. Obwohl ihm Barbara Hutton in den nächsten Jahren einige Gedichte widmete und während des Krieges sogar regelmäßig von Hollywood nach Mexiko jettete, um ihn im Feldlager anzurufen, ohne allerdings dadurch das mißtrauische FBI abschütteln zu können, wurden die beiden erst 1951 — Miß Hutton hatte inzwischen ihren bürgerlichen Ausrutscher Cary Grant und den Prinzen Igor Troubetzky aus ehelichen Banden entlassen — wieder zusammen erblickt. Es dauerte jedoch noch vier Jahre — Gatte Nummer fünf war gerade verabschiedet — bis der Baron nach einem Besuch in Barbara Huttons prachtvollem Palast „Sidi Hosni“ zu Tanger endlich zur Ehe bereit war. Mit der Hochzeit im November 1955 in Versailles war die Sache dann aber auch erledigt, die beiden Eheleute sahen sich kaum mehr, obwohl sie erst 1960 geschieden wurden.
Zugegeben, alles nicht sonderlich sensationell, aber zum Glück hat das üppig bebilderte und mit vielen Dokumenten (Zeitungssauschnitte, Briefe etc.) angereicherte Buch noch mehr Kapitel, in denen ein interessantes Porträt des trotz aller Bemühungen Ivan Lendls nach wie vor „besten Tennisspielers, der Wimbledon nicht gewann“ entfaltet wird.
Sein Match gegen Donald Budge beim Stande von 2:2 im Davis- Cup-Finale von 1937, das der Amerikaner im fünften Satz mit 8:6 gewann, wurde noch 1980 von einer amerikanischen Fachzeitschrift zum „größten Spiel aller Zeiten“ gewählt, und seine drei Finalniederlagen von Wimbledon brachten ihm den Ruf des „besten Verlierers aller Zeiten“ ein. Ohne Zögern lehnte Gentleman Cramm ungerechtfertigte Punkte ab; gern kolportiert wird, wie er in einer Davis-Cup-Begegnung einen Matchball im Doppel nicht akzeptierte, weil er einen ins Aus fliegenden Ball mit dem Schläger berührt hatte — was außer ihm niemand bemerkt hatte. Doppel und Davis-Cup- Match gingen verloren.
Ein solches Verhalten war auch damals keineswegs üblich. Fred Perry etwa spielte, als sich von Cramm schon im zweiten Spiel des Wimbledon-Finales von 1936 eine Muskelzerrung zuzog, beharrlich auf die Rückhand des Gegners, um ihn zu schmerzhaften Ausfallschritten zu zwingen. Perry gewann 6:1, 6:1, 6:0 und bekannte später: „Ich war damals ein ziemlich schmutziger Spieler.“
Wie Max Schmeling hatte von Cramm das Pech, das seine größte Zeit als Sportler in die Ära der Nazi-Herrschaft fiel. So hatten bei einem Turnier in Los Angeles mehr als hundert Filmleute aus Hollywood beschlossen, aus Protest gegen die Judenverfolgung beim Erscheinen von Cramms ihre Plätze in den ersten Reihen zu verlassen. Als der allseits beliebte Sportsmann dann aber kam, brachten sie es nicht übers Herz. „Mit einem Schlag schämte ich mich dessen, was ich tun sollte“, sagte Groucho Marx später.
Die Sitzengebliebenen brauchten sich nicht zu grämen. Der weltoffene von Cramm, der sich offenkundig weigerte, als Aushängeschild für die Nazis zu dienen, war den Machthabern bald ein Dorn im Auge. Nach der Rückkehr von einer ausgedehnten Weltreise wurde er 1938 von der Gestapo verhaftet und „wegen Homosexualität“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nach vielfältigen Protesten im Ausland ließ man ihn ein halbes Jahr später frei, er durfte jedoch nicht mehr für Deutschland Tennis spielen.
Um so triumphaler gerieten die ersten Davis-Cup-Auftritte des nunmehr Vierzigjährigen Anfang der fünfziger Jahre. Beim Match gegen Italien in München bemängelte eine Fachzeitschrift gar „brodelnde Nationalgefühle, die tief aus der fußballgeschulten, sensationshungrigen Bierseele kamen“.
Seinen letzten Davis Cup spielte Gottfried von Cramm 1953 in Paris gegen Frankreich, wo er gegen den 20jährigen Haillet zwei Sätze lang brillierte, dann konditionell völlig einbrach und die restlichen drei Durchgänge verlor. Kein Geringerer als der begnadete Heinz Maegerlein schrieb damals den Abgesang auf eine große Karriere: „Ich selbst bekenne in dieser Stunde, da ich das Fenster meines Hotelzimmers weit geöffnet habe und die hunderttausend Lichter dieser Stadt den Himmel fast taghell erleuchten, daß ich Gottfried von Cramm gar nicht noch einmal in einer ähnlichen Situation wissen oder gar sehen möchte. Denn mehr als einmal wendeten wir den Blick vom Platz, weil wir den Anblick des todmüde auf dem roten Grund stehenden Mannes kaum noch zu ertragen vermochten — weil Mitleid in unser Herz einzog, für das im Grunde seine Persönlichkeit zu schade war.“ Matti
Egon Steinkamp: Gottfried von Cramm — der Tennisbaron, Herbig Verlag, München 1990; ISBN 3-7766-1631-8, 48 D-Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen