: Multitotalitarismus, guter
■ Die kulturelle Sättigungsbeilage zu den Mercedes-Spielen FRAU IRENE SCHWEIGT ZUR OLYMPO-KULTUR
Die Groß-Polit-Show hat die einzigartige Potenz, über sämtliche satirischen Szenarien immer noch hinauszuwachsen und dennoch niemanden zum Lachen zu bringen. Zum Beispiel die — wirklich schon witzblattreife, weil unvermeidliche und platt-blauäugige — alternative Forderung nach Abhaltung eines wissenschaftlichen Kongresses zur Berliner Olympiade 1936, nachdem man sich dann — wohl in einer Art geläutertem Olympo-Gigantismus — doch noch die Spiele-Wiederholung in Berlin hätte genehmigen dürfen (man gönnt sich ja sonst nichts): Hauptsache der Kontostand von Böse und Gut ist ausgeglichen, Geschichte auf- und vor allem wisch-und-weg-gearbeitet, Gewissen beruhigt, Alibis abgehakt. Dann läßt sich noch viel, viel fröhlicher weiterfeiern.
Überhaupt sollen bei der Olympiade ja immer alle Konten glatt sein, nicht nur die des Schwierzinaschen Wunschsponsoren Daimler Benz. Nein, es verlangen schon die olympischen Statuten selbst ein »gleichwertiges Kulturprogramm« zu den Wettkämpfen — gemäß der schönen abendländischen (und dennoch geradezu alternativen, s.o.) Logik von Gift und Gegengift, das es angeblich gegen alles gibt. Und siehe, es wird dann Olympia die Mutter aller Dinge. Von ihr kommt alles, mit ihr geht alles — notfalls auch in den Eimer. Zum Beispiel auch die Berliner Kultur (siehe taz vom 3. 1.). Es ist jetzt also das Olympia-Büro, das sich um die Erhaltung und Entwicklung der »breiten Vielfalt« der Berliner Kultur sorgt. Sportstrategen wollen die Museumsinsel sichern [und in die Schwimmwettbewerbe miteinbeziehen?, d.S.], Massenmanager beklagen Mängel in den Sparten Film und Tanz. Letzterem wollen die Wettkampfkader ein eigenes Haus bescheren — wie schön von ihnen. Losgehen soll's am besten gleich. Schon im nächsten Jahr will uns Mama Olympia ein Tanzfestival schenken, im darauffolgenden Jahr wird uns die Gute unauffällig einige Sportfilmtage in die Berlinale rühren usw. — auf daß wir geschickt und zuckersüß mit mütterlich sanfter Gewalt ung gaaanz langsam in die Olympiaabhängigkeit hinübergleiten.
So nimmt dann alles seinen Lauf — spätestens in zwei Jahren sind wir alle via Kultur sportsüchtig und warten nur noch auf eine: Olympia. Was schon bei der 750-Jahr-Feier und bei E 88 funktioniert hat, wird auch nun wieder Erfolge zeigen: Jeder halblinke Kulturszenist kriegt eine BAT-Stelle und wird also für die heikelste Zeit aus der Kritikkulisse fortgemietet. Vergessen, daß wir einst laut riefen, Kultur dürfe nicht zur Dekoration für Kommerz (und was bitte ist die Olympiade anderes) verkommen. Vorbei das aufrechte Wühlen an der Basis: denn wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht (noch so eine christlich-alternative Kontoführungsrichtlinie) und so soll nun auch das, was bislang »dezentrale Kulturarbeit« hieß und sich als ebenso von unten gewachsen wie widerständig gegen die vereinheitlichende Großkultur verstanden hatte, in das Werbekonzept integriert und so an die Mercedes-Spiele verkauft werden. Achtung, keine Satire! Die total guten olympischen Spiele werden auch Sie versöhnen und zwar überall! Womit, dürfen Sie sich aussuchen. grr
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