Ein ganzes Leben für die Sauberkeit

■ Rüstungs-Riedmüller sorgt sich um Lebensplanung ihrer wehrpflichtigen Nachwuchswissenschaftler/ Von der Truppenaushebung zur geschichtlichen Großraumpflege/ C4-Professur bei Humboldt soll alle Berliner mit sich versöhnen

Berlin. Natürlich hat jede große BewältigerIn fremder Vergangenheiten auch eine eigene. So auch Barbara Riedmüller (SPD), die Nochwissenschaftsenatorin und Oberabwicklerin in Berlin. Wie jeden Tag in der Woche machte sie sich auch gestern »intensiv und vertrauensvoll« Sorgen um die ihr Anvertrauten. Diesmal um 50 junge wehrflüchtige Nachwuchswissenschaftler, die nun zum Wehrdienst einberufen werden. Bei den Atomikern im HMI, bei den Hackern im Konrad-Zuse-Zentrum und im Botanischen Garten, so Riedmüller, seien nun »schwerwiegende Nachteile für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu befürchten«. O-Ton: »Erheblicher Eingriff in die Lebensplanung«. Diese objektiv richtige Aussage der Senatorin als doppelzüngige Heuchelei zu bezeichnen, reicht nicht aus. Denn eben die Barbara Riedmüller, die sich hier so bitter über die Einzugsgewohnheiten des Bundes beschwert, bildete einst höchstselbst Kanonenfutter aus. Von 1983 bis 1986 lehrte sie an der Bundeswehrhochschule in München »Sozialpolitik«. Tapfer rang sie also an der Heimatfront, als in höchst friedensbewegter Zeit jede anständige Bürgerin gegen die atomare Nachrüstung auf die Straße ging.

Am 23. 10. 83, einem arbeitsfreien Sonntag für die umtriebige Soldatenausbilderin Riedmüller, verzeichnete die taz mehr als eine Million FriedensdemonstrantInnen in der gesamten Alt-BRD. Doch nicht nur das: Auch als sie längst schon die Armee-Uni verlassen hatte, bewies Riedmüller ihre olivgrüne Treue: Mitte Oktober 1990 verkniff sie sich nicht, als erste offiziöse Vertreterin Bundeswehrsoldaten in der ehemals entmilitarisierten Zone zu begrüßen.

Genauso locker, wie sie ihre eigene Vergangenheit bewältigte, so wollte die Senatorin schon im September 1990, daß die Humboldt- Universität ihre »Vergangenheit als SED-Hochschule glaubwürdig hinter sich« ließe. In beinah perfektem SED-Deutsch schlug sie allen Beteiligten vor: »Die Phase der Neu- und Umstrukturierung muß produktiv — gemeinsam — gestaltet werden.« Diese softe Strategie nahm in den letzten Monaten eine harte Wendung. Denn in letzter Minute sah Riedmüller ein, daß es besser sei, wenn sie allein die Regie beim Vergessen und Neubeginnen übernähme. Ein fürchterlicher Irrtum! Hatte sie doch geglaubt, ein Kahlschlag in der ersten Reihe der Universität würde die notwendige ideologische Sauberkeit schaffen. Doch da »dieses System«, wie sie auf dem Höhepunkt ihrer zivilen Tätigkeit bekannte, »analog zum Nationalsozialismus die Leute nach der Politik aussuchte«, könne man auch der zweiten Reihe nicht vertrauen. »Alle Professoren wurden immer von der SED und der Stasi bewertet. Auch die Dozenten aus den Blockparteien.« Dies bedeute nicht, daß darunter nicht auch qualifizierte Leute seien. Schließlich seien auch die Studenten »eine handverlesene Elite«, die sich nur deshalb als Verlierer der Einheit betrachteten, »weil sie ihre Kaderfunktionen nicht mehr bekommen« würden. So weit zu Riedmüllers Phobie vor der »Krake« Ostuniversität. Ganz davon zu schweigen, daß sie sich schon bei den streikenden Westberliner Studenten 1988/89 durch solidarische Untätigkeit große Sympathien erwarb. Deshalb schlägt die taz Riedmüller für eine C4-Professur am einzigen nicht abgewickelten geisteswissenschaftlichen Fachbereich der Humboldt-Uni, der Soziologie, vor. Ein Schritt auf ihrer Karriereleiter, der uns alle mit der Geschichte versöhnen mag. anbau/kotte