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„Man das Elend doch nicht verbieten“

■ Handelskammer für Privatisierung der Lloyd-Passage / Bausenat: Betteln, Musizieren und Demonstrieren bleibt erlaubt“

„Der steht da von morgens acht bis abends acht und singt. Manchmal nervt das“, sagt der Dekorationsleiter des Bekleidungsgeschäfts Roland am Eingang der Lloyd-Passage in der Bremer Innenstadt. Er deutet auf einen einbeinigen Jungen, der vor dem Geschäftseingang mehr schlecht als recht seine Lieder singt und von PassantInnen ein paar Mark zugesteckt bekommt. „Gegen einzelne habe ich nichts, aber die ständige Singerei ist eine Zumutung“, sagt der Dekorationsleiter. Und auf die Frage nach der Notwendigkeit eines privaten Wachdienstes für die Lloyd-Passage fügt er bedauernd hinzu: „Wir haben ja leider keine Möglichkeit“.

Viele Geschäftsleute, vertreten durch die Bremer Handelskammer, wünschen nach wie vor die Umwidmung der Lloyd-Passage von einer öffentlichen Straße zur Privatfläche. Erst dann wäre den Geschäftsleuten ungestörter Umsatz und PassantInnen streßfreies Einkaufen ohne lästige Bettelei und Straßenmusik garantiert. Eine private Wachmannschaft könnte unbotmäßigen Elementen Haus- bzw. Straßenverbot erteilen.

Doch die Meinungen sind sehr geteilt. Sebastian Kenter, der in der Passage einkauft, meint: „Mir macht die Bettelei nichts aus. Eine Wachmannschaft halte ich für überflüssig“. Und eine Verkäuferin von Lederwaren Schulte pflichtet ihm bei: „Man kann das Elend ja schließlich nicht verbieten“.

Die Umwidmung von öffentlichen Straßen ist mittlerweile in vielen bundesdeutschen Städten ein probates Mittel, die Innenstädte von Anzeichen der Armut zu säubern. Als Beispiel dienen dafür private Geschäftspassagen. Auch für die Bremer Handelskammer steht das Thema weiter auf der Tagesordnung. „Wir würden die Probleme wie Bettelei besser in den Griff bekommen, wenn die in der Interessengemeinschaft Lloydpassage zusammengeschlossenen Geschäftsleute das Hausrecht in der Straße hätten“, so Handelskammer-Mitarbeiter Nullmeyer.

Der Versuch, die Umwidmung durchzusetzen, wäre eine Neuauflage. Vor einigen Jahren bereits sind die Kaufleute bei der Bremer Stadtverwaltung abgeblitzt. Stadt und Interessengemeinschaft haben stattdessen einen Vertrag geschlossen, der die öffentliche Nutzung der ehemaligen Großen Hundestraße nicht wesentlich einschränkt, von verschärften Kontrollgängen der Polizei abgesehen. „Grundsätzlich darf in der Lloyd-Passage demonstriert, gebettelt und musiziert werden, wie auf allen anderen Straßen auch“, so Harald Bode vom Bausenat. Auch heute sieht er keine Veranlassung, irgendeine Straße zu privatisieren.

Ungestörter Konsum in Hannover und Hamburg

Andere Städte sind bei der Privatisierung öffentlicher Innenstadträume schon weiter. In Hannover haben die Geschäftsleute der Passerelle, einer teilweise unterirdischen, mehrere hundert Meter langen Fußgängerzone, die Stadtverwaltung vorgeschoben. Die erließ die „Passerellenordnung“, die das Herumsitzen, Liegen, Übernachten, Alkoholtrinken, Flugblattverteilen und vieles mehr in der Konsumzone verbietet.

Zum Leidwesen der Stadtoberen will die Staatsanwaltschaft Hannover jedoch hunderte von schon verhängten Hausverboten nicht anerkennen, weil die Privatstraße nicht deutlich genug abgeteilt sei. Bald könnten deshalb die Eingänge mit Toren nachgrüstet werden. In Hamburg bemüht sich die Handelskammer, die Privatisierung von Fußgängerzonen in der Innenstadt durchzusetzen: Ein Vorschlag, der Herrn Nullmeyer von der Bremer Handelskammer sehr interessant erscheint.

Ein Umwidmungs-Beispiel gibt es schon in Bremen: vor Jahren wurden Flächen am Katharina-Parkhaus privatisiert. Dort üben jetzt die ansässigen Geschäftsleute und die Bremer Parkplatz GmbH das Hausrecht aus. In der Katharina-Passage werden Bettler nicht geduldet. Auch Musizieren und Flugblattverteilen ist verboten. Abends wird abgeschlossen und morgens wieder geöffnet. Hannes Koch

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