Totale Überwachung lähmt jede Demokratie

■ Betr.: "Boeden schlägt neue Aufgaben für Verfassungsschutz vor", taz vom 4.1.91

betr.: „Boeden schlägt neue Aufgaben für Verfassungsschutz vor“, taz vom 4.1.91

Neue Aufgaben für den Verfassungsschutz? Nein danke!

Wer nach neuen Aufgaben sucht, weiß, daß die alten nicht mehr existieren. Nach dem Wegfall der „roten Gefahr“ soll die Aufklärung illegaler Lieferungen in Krisengebiete, die Vorfeldaufklärung organisierter Kriminalität und der Extremismus dem Verfassungsschutz eine neue Existenzberechtigung bieten. Damit möchte der Verfassungsschutz auch Aufgaben anderer Behörden übernehmen, denn die Aufklärung illegaler Lieferungen in Krisengebiete liegt in der Zuständigkeit des Zolls und muß Aufgabe des Zolls bleiben.

Extremisten brauchen nicht erfaßt zu werden. Vielmehr müssen die Ursachen dafür verdeutlicht werden, die in der Perspektivlosigkeit und dem Freiheitswillen vieler Jugendlicher zu finden sein dürften, womit der Extremismus ein gesellschaftliches Problem ist und nur soziologisch gelöst werden kann. Damit sind wir alle aufgerufen, extremistischen Tendenzen jeglicher Art entgegenzuwirken. Eine lebendige Demokratie, wie die unsere immer bezeichnet wird, braucht kein Amt, um „geschützt“ zu werden.

Was aber bedeutet Vorfeldaufklärung und organisierte Kriminalität? Die Definition dieser Begriffe kann soweit gefaßt werden, daß eine lückenlose Überwachung jedes einzelnen bis in die intimsten Bereiche möglich ist. Schon in der Vergangenheit wurde mit diesen Begrifen Angst erzeugt und mit der Angst weitere Eingriffsbefugnisse begründet. Würde jetzt auch noch der Verfassungsschutz auf diesem Gebiet eingesetzt werden können, wäre damit eine lückenlose Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei gewährleistet. Die Vergangenheit zeigt bereits, wie gut die Kooperation zwischen Verfassungsschutz und Polizei trotz Trennungsgebots funktionierte. Was wird uns erst erwarten, wenn dieses Trennungsgebot de facto aufgehoben ist, weil beide Institutionen fast die gleichen Aufgaben haben?

Kernpunkt der Aussage von Herrn Boeden ist, daß die Polizei nur bei konkreten Gefahren tätig werden darf, der Verfasssungsschutz jedoch bereits im Vorfeld. Herr Boeden verschweigt dabei, daß die neuen Polizeigesetze es (leider) sehr wohl zulassen, daß die Polizei bereits in Fällen der sogenannten Gefahrenvorsorge tätig werden kann. Auch Mittel, die bisher dem Verfassungsschutz vorbehalten waren, darf die Polizei in Zukunft benutzen.

„Bei Entstehen krimineller Strukturen ist diese (konkrete Gefahr) regelmäßig noch nicht gegeben.“ Wie weit will Herr Boeden denn in das sogenannte Gefahrenvorfeld eindringen, um irgendwann mal die Polizei auf eine konkrete Gefahr hinzuweisen? Müßte er nicht jede und jeden überwachen, um konkrete Gefahren schon im Ansatz zu erkennen?

Die jetzt allmählich bekannt werdenden Schweinereien der Stasi sollten auch uns in der Alt-BRD zu denken geben. Totale Überwachung lähmt jede Demokratie. Reinhard Borcher,

Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten undPolizistinnen (Hamburger Signal) e.V.