Auch in New York zahlen die Ärmsten die höchsten Mieten

The poor pay more: Obwohl der Markt für Eigentumswohnungen zusammengebrochen ist, steigen die Mieten in der Metropole schneller als die Löhne  ■ Aus New York Eva Schweitzer

„Ich wollte in einer sicheren, zentral gelegenen Gegend wohnen und nicht mehr als 400 Dollar im Monat dafür ausgeben“, erzählt die deutsche Studentin Petra K. Das ist in New York nicht selbstverständlich. Eine eigene Wohnung, gar in Manhattan, können sich StudentInnen kaum leisten.

Sieben Millionen Menschen leben in der „Hauptstadt der Welt“, in ihren fünf Bouroughs, den großen Stadtbezirken Manhattan, Bronx, Brooklyn, Queens und Staten Island. 3,3 Millionen von ihnen sind weiß, 1,8 Millionen schwarz, viele sind AsiatInnen und Menschen aus Süd- und Mittelamerika. Fast drei Millionen davon wohnen in Manhattan, vom nördlichen Harlem bis zur südlichen Wall Street.

Seit ein oder zwei Jahren verlassen jedoch deutlich mehr Menschen New York und vor allem Manhattan, als dorthin ziehen. Die Kriminalität und die morbide Infrastruktur vertreiben vor allem gutsituierte weiße Familien in das benachbarte New Jersey oder Außenbezirke wie Staten Island, das einen stetigen Einwohnerzuwachs von zwei bis drei Prozent im Jahr zu verzeichnen hat.

Trotzdem steigen die Mieten im Zentrum immer noch, und zwar im Schnitt um sieben Prozent im Jahr. 395 Dollar monatlich kostete 1987 eine Wohnung ohne Stromkosten oder Heizung, wie die Stadtverwaltung in ihrem letzten housing and vacancy report feststellen ließ — mit weiten Spannen zwischen solch unterschiedlichen Bouroughs wie Staten Island und Bronx. Die genausoweit gefächerten Löhne halten damit seit der Rezession nicht im entferntesten mehr Schritt. Das Durchschnittseinkommen der New Yorker Familie betrug 1987 20.000 Dollar im Jahr. Das Durchschnitts-Mietereinkommen liegt jedoch nur bei 16.000 Dollar, und schwarze und puertoricanische Familien verdienen noch weniger. Im Schnitt werden 29 Prozent der Einkommens für die Miete ausgegeben; im ärmsten Viertel sind es gar über 40 Prozent.

Über 300.000 Familien haben trotz der rigiden US-Sozialgesetzgebung Anspruch auf staatliche Unterstützung, davon ein Viertel Alleinerziehende. Aber damit ist es nicht weit her. Die Stadt zahlt zwar Mietzuschüsse, aber die Festbeträge reichen oft nicht aus. Zwei Drittel dieser Haushalte zahlen eine Miete, die darüber liegt.

Dazu kommt, daß die Stadt sich aus dem Wohnungsneubau zurückgezogen hat. „Nur in den 40er und 50er Jahren gab es staatliche Programme“, sagt Bill Row, Sprecher der „New York State Tenant and Neighbourhood Coalition“, der Dachorganisation von Mietern im Staat New York. Jetzt baut die Stadt nur noch ab und zu einen Wohnblock, dessen Sozialwohnungen unter den Berechtigten verlost werden.

Der schrittweise Rückzug des Staates aus dem Wohnungsbau hat dazu geführt, daß die 2,84 Millionen New Yorker Wohnungen in drei Kategorien unterteilt sind. Unter sogenannter „rent control“ sind nur noch 160.000 Wohnungen. Diese Wohnungen wurde vor 1947 gebaut, ihre Mieten sind staatlich festgesetzt. Ein Teil davon gehört der Stadt. Wohnungen, die vor 1974 gebaut wurden, gelten als „rent stabilized“. Bei diesen Wohnungen — etwa einer Million — dürfen die Mieten jährlich um bestimmte Prozentbeträge angehoben werden. Diese richten sich nach einem Mietspiegel, den die Stadt erstellt. Wenn aus Wohnungen, die nach 1971 gebaut wurden, die alten Mieter ausziehen, dürfen völlig freie Mieten genommen werden — dies jedoch nur in Gebäuden, in denen weniger als sechs Wohnungen liegen. Bei größeren Gebäuden gilt auch dort der Mietspiegel. Bei der restlichen knappen Million von Wohnungen schließlich, die nach 1974 erbaut wurden, sind die Mieten von vornherein frei vereinbar. Dazu kommen fast 850.000 Eigenheime.

Bei diesem System versteht es sich von selbst, daß die „rent controlled appartments“ im Schnitt fast nur die Hälfte dessen kosten, was für freifinanzierte Wohnungen verlangt wurde. Entsprechend verdoppeln sich die Mieten von Wohnungen, sobald sie nach dem Auszug von Altmietern aus der Bindung fallen. Und entsprechend ist der Auszugsdruck der Eigentümer. „In New York darf man Mieter nur nach einem Gerichtsurteil auf die Straße setzen, aber viele Vermieter halten sich da nicht daran und vertreiben Leute illegal“, berichtet Bill Row. Manche Vermieter reparieren nichts mehr, andere vermieten gar freie Wohnungen im Haus an Drogenhändler oder an alkoholkranke Obdachlose in der Hoffnung, daß das die anderen Mieter in die Flucht schlägt.

Allein 1987 wurden 15.000 Wohnungen umgewandelt, aber inzwischen ist der Markt für Eigentumswohnungen zusammengebrochen. Außer der schlechten wirtschaftlichen Lage haben sich viele Bauherren einfach übernommen. Der Markt ist übersättigt, und ein Gutteil der teuren Wohnschachteln in den wenig anheimelnden Hochhauskötzen stehen unverkäuflich leer.

Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Obdachlose. 45.000 sind es nach offiziellen Angaben, das Doppelte vermutet die Zeitschrift 'Street News‘ der Obdachlosenselbsthilfe. Die von der Pleite bedrohte Stadtverwaltung — demnächst werden dort wieder 15.000 Angestellte entlassen — kümmert sich kaum um das Problem. Allenfalls werden Familien oder alleinstehende Mütter mit kleinen Kindern in billigen Hotelzimmern untergebracht. Mit allen nachteiligen Folgen auch für die Kinder: Sie haben keinen Raum für Privatleben und Schularbeiten, und von den KlassenkameradInnen werden sie als Asoziale verspottet.

Glück hatte immerhin Petra K. Sie fand ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Es befindet sich in einem der charmanten bröckeligen Altbauten, die den Charme Manhattans ausmachen und deren Tage gezählt sind. Es hat auch die unvermeidlichen braunen Käfer und das braune Leitungswasser. Petra K. zahlt nun 500 Dollar im Monat.