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Verdrängungsarbeit

■ Eine Replik auf F. Schorlemmers Plädoyer für die Sperrung der Stasi-Akten

Nun auch der. Friedrich Schorlemmer will die Stasi-Akten schließen lassen, bevor sie überhaupt geöffnet worden sind. Für die Opfer. Er redet vom Schlußstrich und müßte doch wissen, daß solche künstlichen Grenzen nie funktionieren. Veröffentlichungsverbot für die Presse? Überwachung der Redakteure? Und dann, wenn die Schlußstrichdiktatur gelungen ist, könnte immer noch der letzte Ex-Stasi-Mann mit einem geklauten Dossier an der Haustür Friedrich Schorlemmers klingeln, um es pflichtbewußt abzugeben. Würde er dann vorsorglich seine Augen verbinden, damit er ja nicht der „vergiftenden Wirkung“ der Dossiers erliegt? Oder wäre seine Neugier stärker?

Es ist traurig, daß auch kluge Leute den dummdreisten Verdrängungskurs fahren. Natürlich werden wir nicht die Gerechtigkeit herstellen, so wie — ich zitiere Schorlemmer — „Kirche und Sozialismus nie real existieren, sondern Zielbegriffe sind, die miteinander in Spannung und Kooperation stehen“. Sollen wir aber auf den Versuch, Gerechtigkeit herzustellen, verzichten? Es geht um das „Gemisch von Wahrheit und Verleumdung“, daß die Stasi hinterlassen hat, meint Schorlemmer. Das sei nicht mehr zu klären.

Mein Gott oder mein Nichtgott, nicht nur die Stasi hinterläßt Mixturen aus Wahrheit und Verleumdungen — und den Abstufungen zwischen beiden. Sein ganzes Leben lang bewegt man sich inmitten von Menschen, die — sofern sie einen zur Kenntnis nehmen — immerzu Wahrheiten oder/ und Gehässigkeiten über einen verbreiten. Wer das nicht verkraftet, darf sich nicht unter Menschen begeben.

Gäbe es das Recht auf unzensierte Akteneinsicht für jedermann, wir hätten einiges hinter uns, was Deutschland noch vor sich hat. Die Frage: „Was war eigentlich die DDR?“ ist noch nicht ausdiskutiert, die Offenlegung des Machtkomplexes MfS/ SED duldet keinen weiteren Aufschub. Wem das alles zuviel ist, wer das nicht verkraftet — der soll in Ruhe gelassen werden. Der soll aber auch die in Ruhe lassen, die jene Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit konkret betreiben wollen. Hat der Schriftsteller Jürgen Fuchs nicht ein Recht zu erfahren, ob die einmal vor seiner Westberliner Wohnung detonierte Bombe ihm galt? Und ob seine angeblich durch Suizid verstorbene Schwiegermutter vor oder nach einem Erpressungsgespräch mit MfS-Mitarbeitern aus dem Leben schied?

Damit die Täter nicht allein „die Puppen tanzen lassen können“ (Schorlemmer), brauchen endlich die Opfer das Recht auf Akteneinsicht. Ich persönlich bin bereit in meinem Fall auf alle juristischen Schritte zu verzichten, wenn ich alle mich betreffenden Dossiers unzensiert einsehen und veröffentlichen darf. Sollte der illegale Besitz von Akten wirklich strafbar werden (wie das FDP-Baum vorschlug), dann würden die Akten des MfS endlich das erreichen, was diese Behörde schon immer wollte: uns, die wir uns Zugang zu verschaffen suchen, zu kriminalisieren. Lutz Rathenow

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