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Jugoslawische Konkursmasse sucht Verwalter

Wenn heute die Spitzen der jugoslawischen Republiken miteinander konferieren, dann heißt dies nicht, daß nochmal nach einer echten Perspektive für den Zusammenhalt des Landes gesucht wird/ Serbien unterschlug Bundesmittel in Milliardenhöhe  ■ Von Melcic/Mikulic

„Eine historische Absprache über Jugoslawien“ erwartet man sich in der kroatischen Presse vom ersten Zusammentreffen der alten und neuen Spitzenpolitiker nach den Wahlen in allen jugoslawischen Teilrepubliken. Dieses Treffen soll heute beginnen. Doch die damit verbundenen Erwartungen könnten schon bald enttäuscht werden. Vielleicht werden mit dem Treffen auch nur diejenigen beschwichtigt, die es aufgrund der politischen Entwicklungen der letzten Monate mit der Angst zu tun bekommen haben.

Täglich überschlagen sich die Katastrophenmeldungen. Am Sonntag vor Weihnachten errangen die serbischen Nationalbolschewisten um Slobodan Milosevic bei den ersten halbwegs freien Wahlen eine Dreiviertelmehrheit im neuen serbischen Parlament. Am gleichen Tag gaben per Volksentscheid 88 Prozent der slowenischen Bevölkerung ihrer Regierung das Mandat zur Abtrennung von Jugoslawien. Wenige Tage zuvor erklärte sich die serbische Minderheit im kroatischen Knin, die schon im Sommer mit einem bewaffneten Aufstand die Republik fünf Wochen lang in Atem gehalten hatte, für autonom und beginnt zuallererst damit, bewaffnete Einheiten aufzubauen.

In der ehemals autonomen Provinz Kosovo betreibt die neue serbische Zwangsverwaltung eine offene Kolonialpolitik gegenüber der fast 90prozentigen albanischen Bevölkerungsmehrheit: Zehntausende von Albanern sind entlassen worden, sämtliche albanische Medien wurden eingestellt, alle wichtigen Posten sind mit Serben besetzt worden, und die dort ansässigen Firmen und Banken werden regelrecht geplündert und lahmgelegt. Angesichts des nun auftauchenden Hungers sind in Kosovo die ersten Stimmen zu hören, die damit drohen, den beispiellos heroischen zivilen Widerstand aufzugeben. Bisher, und das ist ja bei aller Unterdrückung erstaunlich, war es noch nicht zu einem militanten Widerstand durch die Kosovo-Albaner gekommen.

Das was Jugoslawien noch zusammenhält, sind Schulden. Schon seit Monaten haben die Republiken damit aufgehört, Gelder an den Bund zu überweisen. Statt dessen haben sie Bundesmittel, die nur technisch über ihre Konten laufen sollten, mit oder ohne Tricks unterschlagen. Eine neue Variante der Mittelbeschaffung hat die serbische Regierung mit der Konfiszierung von Eigentum unter anderem kroatischer Firmen in Serbien und der Sonderbesteuerung kroatischer, slowenischer und ausländischer Waren auf Republikebene eingeführt. Im Gegenzug verlangt die kroatische Presse, daß ihre Regierung die Flugzeuge der jugoslawischen — wegen ihrer Belegschaft allgemein als „serbisch“ verstandenen — Fluggesellschaft JAT, die gegenüber dem Zagreber Flughafen in Milliardenhöhe verschuldet ist, nur landen zu lassen, um sie dann zu beschlagnahmen. Ein Belgrader Journalist meint treffend, der Krieg habe schon begonnen: „mit der Konfiszierung feindlichen Eigentums“.

Bezahlt haben dieses unrentable Spiel der Bund und seine ausländischen Kreditgeber. Um so nachhaltiger schlägt jetzt die Bombe ein, die Ante Markovic, der jugoslawische Regierungschef, in den letzten Tagen verkündete: Die Bundeskassen sind geplündert und die Geduld des Auslands zu Ende. Durch die Entwicklungen des letzten Jahres politisch an die Wand gedrückt, zieht Markovic seine letzte Karte. Er macht Bilanz und nennt auch zum ersten Mal die Hauptschuldige der Misere beim Namen, die serbische Regierung um Slobodan Milosevic. Mehr als die Hälfte der säumigen Zahlungen an den Bund lag schon bei ihr, bevor jetzt bekannt wurde, daß sie, völlig bankrott, durch Wertpapiermanipulationen und ungedeckte Schecks die Bundeskasse um 18 Milliarden Dinar (zwei Milliarden DM) betrogen hat und damit den währungspolitischen Stabilisierungskurs der Bundesregierung in Frage stellt. Wie aus einer am Mittwoch von der Zeitung 'Borba‘ veröffentlichten Erklärung hervorgeht, verabschiedete das serbische Parlament am 28.Dezember zwei geheime Erlässe, wonach der serbischen Staatsbank erlaubt wird, den Banken und Unternehmen der Republik Kredite in Milliardenhöhe zu gewähren.

Die von Serbien illegal angesammelten Gelder sollen dem Bericht zufolge in die serbischen Rentenkassen, in die Deckung der Außenhandelsschuld und in die Finanzierung von Industrieproduktion und Landwirtschaft fließen. Die jugoslawische Regierung bewertete das serbische Vorgehen als Verstoß gegen die Verfassung. Mit der Schaffung einer „falschen Währung“ gefährde Serbien die Umsetzung des wirtschaftlichen Reformprozesses. Zudem würden so die Inflation angeheizt und die Devisenreserven bedroht. Die slowenische Regierung protestierte bei Ministerpräsident Ante Markovic dagegen, daß Serbien „sich auf Kosten der anderen durch Diebstahl zu retten“ versuche. Damit sei „die Einheit des jugoslawischen Wirtschaftssystems endgültig zerstört“ worden. Dabei sind die Rechnungen für die serbische Kosovo-Politik oder die Einbußen in der kroatischen Tourismusindustrie wegen des von Belgrad geschürten Aufstands der Serben in Knin überhaupt noch nicht erstellt.

Konkursmasse Jugoslawien

Am Vorabend des „historischen Treffens“ ist Jugoslawien zur Konkursmasse geworden, zum Strandgut für das Raubrittertum der Teilrepubliken. Daß es am heutigen Donnerstag zu einem wirklichen Gespräch zwischen den einzelnen Republiken und Völkern Jugoslawiens kommen könnte, ist angesichts der Differenzen kaum anzunehmen.

Dabei ist Kroatien noch am glaubwürdigsten an einem neuen Kompromiß über Jugoslawien interessiert. Zwar kamen nach den ersten freien Wahlen in der zweitgrößten jugoslawischen Teilrepublik die kroatischen Nationalisten um Franjo Tudjman an die Macht. Da sich aber die kroatischen im Gegensatz zu den serbischen Nationalisten keine Hoffnung darauf machen können, ihre Minderheiten in den anderen Republiken (fast eine Million) per Gewaltstreich heimzuholen, operieren sie vorsichtig. Mit dem umsichtigen Stipe Mesic hat Tudjman einen Mann ins jugoslawische Staatspräsidium geschickt, der als Person für Gesprächs- und Kompromißbereitschaft bürgt.

Anders steht es schon um die Glaubwürdigkeit Sloweniens, der einzigen Republik ohne Minderheitenproblematik im Vielvölkerstaat. Bereitwillig ließ es sich bisher von Belgrad den Part des Separatisten im jugoslawischen Drama zuspielen. Experten haben aber errechnet, daß ein Austritt aus Jugoslawien für das Zweimillionenvolk unbezahlbar ist. Deshalb scheinen die liberal-konservative Regierung und ihr ex-kommunistischer Präsident Kucan neuerdings auf eine vermeintlich billigere Auflösung von Jugoslawien zu setzen. Slowenien bleibt zwar weiter im politischen Spiel, aber es besteht nun die Gefahr, daß alles, was slowenische Politiker sagen, mit zweifelhaften Motiven belastet ist.

In Bosnien-Herzegowina, der „jugoslawischsten“ Republik, in der kein Volk eine Mehrheit besitzt, gerieten die ersten freien Wahlen zur Volkszählung. Zur allgemeinen Überraschung wollen die muslimanischen, die kroatischen und serbischen Nationalisten eine gemeinsame Regierung bilden. Was davon zu halten ist, ergibt sich schon daraus, daß die serbischen Nationalisten weniger an einer Mitarbeit in der neuen Regierung als an den Vertreterposten der Republik im jugoslawischen Staatspräsidium interessiert sind, um Milosevic im Gesamtstaat zu unterstützen. So bleibt Bosnien- Herzegowina ein unsicherer Baustein im Gesamtgefüge Jugoslawiens.

In Makedonien bleiben die Verhältnisse zwischen den bei den Wahlen siegreichen Nationalisten, den Reformkommunisten und der albanischen Partei völlig ungeklärt. Man spricht bereits von Neuwahlen. Montenegro, die kleinste und ärmste Republik, hat sich bei den Wahlen für Milosevic, den Kommunismus und den Bankrott entschieden. Es ist zum Anhängsel Serbiens geworden. Durch die Wahlen gestärkt, aber politisch wie wirtschaftlich bankrott, stehen die serbischen Kommunisten am Ende ihres nationalbolschewistischen Kurses. Entweder sie lenken jetzt ein, oder sie setzen vollends auf einen Bürgerkrieg und die Armee. Letzteres ist dabei anzunehmen, denn der Bankrotteur Serbien, der ohne Jugoslawien nicht überleben kann, besitzt allein institutionelle Stärken. So wird er bei dem „historischen Treffen“ mit drei Stimmen vertreten sein, da er zwar die Autonomie von Kosovo und Wojwodina abgeschafft hat, ohne aber auf deren Stimmen zu verzichten. Daß dadurch das mittlerweile drittgrößte Volk in Jugoslawien, die Albaner, überhaupt nicht mehr am „Gespräch über Jugoslawien“ beteiligt sind, scheint kaum mehr zu stören.

Das Scheitern Markovics

Angesichts der Verfahrenheit der Situation drängt sich die Frage auf, wer denn bei diesem „Reden über Jugoslawien“ die Konkursmasse verwalten wird, wer „für“ Jugoslawien redet?

In seiner bisherigen Regierungszeit hat Ante Markovic, der jugoslawische Regierungschef, durch sein Zögern und Taktieren viele Chancen für Jugoslawien vertan. Als sich ihm im letzten Frühsommer die Chance bot, eine Volksabstimmung über sein Reformprogramm durchzuführen, zögerte er. Eine Mehrheit der Jugoslawen hätte sicher für ihn gestimmt. Andere Kritiker sehen es als seinen Fehler an, zwar richtigerweise die Demokratisierung in den Republiken angestoßen zu haben; doch habe Markovic es versäumt, auf allgemeine und freie Wahlen im gesamten Jugoslawien zu setzen. Die von ihm eingeschlagene Strategie, mit der von ihm gegründeten „Partei der Reformkräfte“ indirekt die Mehrheit in jeder Republik zu erreichen, ist gescheitert. Die Wahlergebnisse zeigen, daß in den Republiken nach nationalistischen Linien gewählt wurde. So hat Markovic seine zweifellos vorhandene Popularität entwertet.

Aber trotzdem scheint er der einzige zu sein, der für das Amt des Ministerpräösidenten in Frage kommt. In seiner letzten Regierungsrede hat er den Führungen der Republiken die Leviten gelesen, mit Nachdruck auf die Befolgung seines Regierungsprogramms für das neue Jahr als einzige Möglichkeit, die Wirtschaftskrise zu bewältigen und eine Diktatur zu verhindern, gepocht. Aber noch so dramatische Appelle bleiben leere Worthülsen, wenn hinter ihnen keine Macht steht. Sogar die Armeespitze steht nicht mehr hinter ihm und hat kürzlich eine neue kommunistische Partei aus Altstalinisten gegründet, die „auf den Sozialismus setzt“. So steht Markovic mit seinem Regierungsteam allein und hat absurderweise nur noch seine hohe Popularität bei der Bevölkerung und Vertrauen im Ausland.

Konkursverwalter gesucht

Fragt man nach Bündnispartnern für Markovic, so kommen derzeit nur die westlichen Republiken in Frage. Ihr gemeinsames Interesse ist das nach einer sauberen Bilanz. Markovics Chance wäre, das Projekt „Jugoslawien“ als einen auszuhandelnden Staatsvertrag souveräner Republiken auf der Basis klarer wirtschaftlicher Rechnung zu vertreten. Dies hieße freilich, Serbien und seinen Anhang vor den Kopf zu stoßen und sich indirekt auf die Seite der Gesprächs- und Verhandlungswilligen zu stellen. Da aber die Herstellung wirtschaftlicher Transparenz einer Offenlegung des serbischen Bankrotts gleichkäme, ist sie ein risikoreiches Spiel.

Es kommt hinzu, daß ein Transparentmachen der Finanzen auch nicht im Interesse der jugoslawischen Armee mit ihrem mehrheitlich serbischen Offizierskorps ist. Diese reagiert auf nichts so nervös wie auf Vorschläge, ihren überdimensionierten Etat offenzulegen oder gar zu kürzen. Wenn sich dieser „Riese auf tönernen Füßen“ bedroht fühlt, sind unberechenbare Reaktionen nicht auszuschließen.

Dennoch besteht gegenwärtig die einzige Möglichkeit, die jugoslawische Staatsgemeinschaft halbwegs zu stabilisieren darin, daß Markovic mit Hilfe der westlichen Republiken endlich die Rolle des Konkursverwalters übernimmt, die ungehemmte Selbstbedienung aus den Bundeskassen wirksam verhindert und Rechnungen für den nationalistischen Gewaltmarsch der Einzelrepubliken erstellt. Dazu braucht er vom westlichen Ausland nicht nur wirtschaftliche Unterstützung, sondern auch eine klare Absage an jeden Gewaltstreich, um die Armee in Schach zu halten.

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