: »Plötzlich kam eine Feuerwalze auf mich zu«
■ Der größte Hotelbrand der Berliner Nachkriegsgeschichte am 16. Dezember 1989 am Ku'damm beschäftigt seit gestern das Berliner Landgericht/ Acht Menschen kamen ums Leben/ Der Angeklagte — ein 46jähriger Hilfsarbeiter — bestreitet die Tat
Berlin. Einen sonderlich zerknirschten Eindruck machte der 46jährige Hilfsarbeiter Hans-Werner B. im Kriminalgericht Moabit gestern nicht: »Ich fühle mich für den Brand nicht verantwortlich«, erklärte er mit fester Stimme. »Trotzdem habe ich ein Schuldgefühl, weil ich mich unerlaubt in dem Hotel aufgehalten habe.« Der knapp 1 Meter 60 große Mann, der im abgewetzten blauen Knastdrillich aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurde, steht seit gestern wegen des größten Hotelbrands der Berliner Nachkriegsgeschichte vor dem Kadi.
Die Anklage lautet auf schwere Brandstiftung und Totschlag: Bei dem Großbrand am 16. Dezember 1989 in dem Gebäudekomplex Kurfürstendamm Ecke Wielandstraße waren acht Menschen ums Leben gekommen, über 40 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. In dem Eckhaus, das vollständig ausbrannte, waren an die hundert Gäste der drei Hotel-Pensionen »Central«, »Holland« und »Ku'damm« untergebracht. Die Brandruine steht bis heute unverändert am Ku'damm.
Der 46jährige Hans-Werner B. war am Morgen nach dem Brand in der Nähe des Hotels verhaftet worden. Er lebte zum Zeitpunkt seiner Festnahme von Sozialhilfe und hatte seine Schlafstelle in einem Vierbettzimmer in einem Männerwohnheim in Tempelhof. In dem Hotel Central — in dem der Brand vermutlich ausbrach — verkehrte er schon viele Jahre, weil er den Betreiber kannte. »Ich habe für das Hotel manchmal Botengänge gemacht, Lottoscheine weggebracht, staubgesaugt oder mal ein Bett bezogen«, sagte Hans-Werner B. gestern vor Gericht. Als Gegenleistung bekam er vom Hotelbetreiber ab und zu Zigaretten geschenkt, ein Bier spendiert oder durfte im Frühstückszimmer des Hotels lesen oder fernsehen.
Nachdem sich eines Tages herausgestellt hatte, daß Hans-Werner B. im Frühstückszimmer übernachtet hatte, wurde fortan genau darauf geachtet, daß er das Hotel spätestens am Abend, wenn das letzte Personal ging, verließ. Daß sich der Hilfsarbeiter einen Schlüssel besorgte und häufig im Keller auf einem Stapel Auslegeware »eine Zweigstelle zum Übernachten« eingerichtet hatte, wußte niemand. Als sich der Beisitzende Richter gestern verwundert nach dem Grund für diese Schlafstelle erkundigte — »Sie hatten doch das Männerwohnheim« —, wurde ihm vom Angeklagten schlagfertig das Angebot unterbreitet: »Sie können ja gern mal eine Nacht dort schlafen. Man muß immer mit voller Montur ins Bett steigen und die Wertgegenstände gut festhalten.«
In der Nacht des Brandes war Hans-Werner B. mit seinem Schlüssel ins »Central« zurückgekehrt, nachdem er das Hotel eine Stunde zuvor mit dem Personal verlassen hatte. »Ich wollte mir den Film Spartakus im Fernsehen angucken«, sagte er gestern. Nach eigener Bekundung war er zu diesen Zeitpunkt von diversen Bieren und Schnäpsen schon reichlich alkoholisiert und trank im Verlauf der Nacht im Frühstückszimmer noch mindestens sieben weitere Bierchen.
An den Ausbruch des Feuers wollte sich der Angeklagte gestern entgegen früherer Angaben bei der Polizei allerdings nicht mehr erinnern können. Er bestätigte nur, daß ihm sein Feuerzeug runtergefallen sei und er sich beim Aufheben eine Zigarette angezündet habe. Bei der Polizei hatte er gesagt, daß das Tischtuch dabei Feuer fing und er die Flammen vergebens mit der Hand auszuschlagen versucht habe. Gestern wollte sich der Angeklagte nur noch daran erinnern können, daß er sich irgendwann mit einer Verbrennung am Ohr und an der Hand auf der Straße wiedergefunden habe. Das Feuer war vom Betreiber des »Central« entdeckt worden, als dieser gegen zwei Uhr nachts in das Hotel zurückkehrte. Er hatte die Feuerwehr gerufen und die Gäste geweckt.
»Dann bin ich rausgerannt, weil eine Feuerwalze auf mich zukam«, sagte der Mann als Zeuge vor Gericht. Der Prozeß wird am Montag fortgesetzt. In den kommenden Verhandlungstagen werden die Brandschutzvorrichtungen im Vordergrund stehen und die Frage, ob ein früherer Alarm die Katastrophe hätte verhindern können. Ungeklärt ist auch, wann die Feuerwehr kam. plu
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