: Präsident Mario Soares vor sicherem Sieg
Größte Wählergemeinschaft vor den portugiesischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag sind die Enthalter/ Der Kandidat der Rechten klopft markige Sprüche/ Auch die KP ist nicht mehr das, was sie mal war/ Pragmatismus ist angesagt ■ Aus Lissabon Antje Bauer
„Wen ich wähle, weiß ich noch nicht. Irgendeinen.“ José streicht sich über den Schnurrbart und grinst. „Ändern tut sich sowieso nichts.“ Seit 16 Jahren lebt der Rom José nun schon in einer Slumsiedlung am Rande Lissabons. Seither sind Staatspräsidenten gekommen und gegangen, doch José hat weiterhin keinen Strom und kein fließendes Wasser, und sein erster Enkelsohn, der vor sieben Tagen geboren wurde, liegt, tief in Decken vergraben, in der Hütte — es zieht wie Hechtsuppe. José, im Glauben, wenn man nicht wählen gehe, gebe es gar keinen Präsidenten, wird immerhin am kommenden Sonntag zur Wahlurne schreiten, im Gegensatz zu vielen anderen, denen die Wahl ebenso egal ist, die jedoch lieber zu Hause bleiben. Mit bis zu vierzig Prozent Enthaltungen rechnen die letzten Umfragen für diese langweiligste Staatspräsidentenwahl seit der Nelkenrevolution. Der Grund für die neue Wurstigkeit der Portugiesen: Schon jetzt steht fest, daß der jetzige Präsident und frühere sozialistische Premierminister Mario Soares gewinnen wird. Soares, am rechten Flügel der Sozialisten angesiedelt, ist es in der vergangenen Präsidentschaft gelungen, sich als allgemein anerkannten Landesvater darzustellen, wozu die weitgehend friedliche „Kohabitation“ mit der regierenden Rechts-Mitte-Partei PSD des Premier Cavaco Silva das Ihrige getan hat. Die PSD hat diesmal auf die Nominierung eines eigenen Kandidaten verzichtet — aus Mangel an eigenen Persönlichkeiten sowie um sich eine sichere Niederlage zu sparen. Ein Großteil der PDS-Anhänger wird sicher für Soares stimmen. Auch die rechte Partei CDS sieht kein Licht am Ende des Tunnels: Ihr Patriarch, Freitas do Amaral, der bei den letzten Wahlen noch auf einen Sieg hoffte, hat diesmal seine Nummer zwei, Basilio Horta, in die Runde geschickt. Und der fischt in neuen — alten — Gewässern. „Die Dekolonisierung war ein Imstichlassen und Verrat an Tausenden weißer und schwarzer Portugiesen, die auf ihre Fahne vertrauten“, erklärte er kürzlich auf einer Wahlveranstaltung. Mit knapp zwanzig Prozent Stimmen kann der Kandidat der harten Rechten maximal rechnen.
Basilio Horta tingelt während seines Wahlkampfes mit Vorliebe durch das angestammte Gebiet der portugiesischen Rechten, durch den Norden des Landes, in dem streng katholische Kleinbauern sozialistische Kollektivwirtschaft fürchten. In den winzigen verlassenen Dörfern, an deren Zufahrten Wegkreuze die Sünder erschrecken und Wunderheiler die Ärzte ersetzen, haben Linke traditionell nichts zu melden. Doch selbst im ehemals revolutionären Süden, im Alentejo der Agrarkooperativen, dreht sich langsam der Wind. Zwar wird dort der Kandidat der Kommunistischen Partei, Carlos Carvalhas, vermutlich erneut die Mehrheit der Stimmen erhalten, doch viele werden zu Soares abwandern. Und die KP ist auch nicht mehr, was sie mal war: Angesichts des Endes der Agrarreform und EG-Rationalisierungsmaßnahmen, die viele Agrarkooperativen das Leben gekostet haben, spricht der Kandidat vor strohbehuteten Bäuerinnen nicht mehr die magischen Worte: „Das Land denen, die es bebauen.“ Die portugiesische Verfassung lasse Großgrundbesitz nicht zu — nur soweit läßt sich der Kandidat bewegen. Mit maximal zehn Prozent kann Carlos Carvalhas rechnen. Selbst die Maoisten tragen dem neuen Klima in Portugal Rechnung: Während die Kommunisten den originellen Spruch „Portugal kann besser sein“ auf ihre Fahnen geheftet haben, vertritt Carlos Marques von der maoistischen UDP den Slogan „Solidarität“. Maximal zwei Prozent sprechen die Meinungsumfragen diesem Kandidaten zu.
Lissabon, die angeblich weiße, in Wirklichkeit regengraue Stadt, bleibt merkwürdig unbeteiligt vor diesen Wahlen. Mal gerade, daß Plakate mit den Konterfeis der Kandidaten von Laternenmasten hängen und zumeist jugendliche Anhänger in klapprigen Lautsprecherwagen musikuntermalt „Basilio, Basilio“ rufen. Bei einer Diskussionsveransaltung der „Bewegung zur Unterstützung von Mario Soares' Präsidentschaft“ (MASP) sitzt der Kandidat vor halbleerem Saal. Und gähnende Leere auch im „Ritz Clube“, einer Disko, in der der linke Kandidat Carlos Marques sich „mit der Jugend vereinigen“ wollte. In neonbeleuchteten Räumen eines verfallenden Altbaus findet unterdessen ein Treffen statt, das vage Zukunftshoffnungen nährt. Der Großteil der „Os Verdes“, der Grünen Partei, die sich aus den Fittichen der KP hervorgewagt hat, trifft sich hier mit Umweltschutzgruppen, mit Mitgliedern der altlinken Partei MDP, die noch immer die Ideale der Nelkenrevolution vertritt, sowie mit ehemaligen Exponenten der Revolution wie Isabel do Carmo und Carlos Antunes. Die bisherige Zersplitterung der linken Bewegungen in soziale und ökologische Gruppen soll aufgehoben werden — „die Zeit dafür ist jetzt vielleicht reif“, hofft MDP-Mitglied Silveira Ramos. Und die Revolution? Weit weg. In Bälde sollen Otelo de Carvalho und die Mitglieder der ehemaligen Untergrundorganisation FP-25 wieder in den Knast einfahren. Soares hat sich für eine Amnestie ausgesprochen. Die gibt es vielleicht nach seiner Wiederwahl. Eine Art präsidentieller Gnadenakt zur weiteren Normalisierung des Landes.
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