: Krähen gelten als sehr intelligent
■ Der Naturschutzbund Berlin führte am vergangenen Samstag eine Krähenzählung durch Bis zu 50.000 Tiere überwintern jedes Jahr in Berlin/ Die Mehrzahl kommt aus Rußland
Berlin. Wenn der Himmel am Nachmittag langsam dunkel wird, brechen sie über Berlin herein: Dichte Schwärme schwarzer Saatkrähen, Dohlen und Nebelkrähen, die sich mit lauten »Krakrakra«, »kjakjak« und »rr« auf den Bäumen und Häusern in der Stadtmitte sammeln. Kurz nach 17 Uhr, wenn es dunkel ist, heben sie gemeinsam von den Sammelplätzen ab und schweben fast lautlos zu ihrem zentralen Schlafplatz auf den Bäumen im Tiergarten hinter der italienischen Botschaft. Dort verharren sie, bis am Morgen der erste Lichtschimmer erscheint. Dann machen sich die großen dunklen Vögel zielstrebig zu ihren Futtergebieten auf und verteilen sich einzeln oder in kleinen Gruppen auf einer Fläche von 600 Quadratkilometern im Berliner Raum. Am Nachmittag sammeln sie sich wieder und treten in Gruppen von 50 bis bis zu 4.000 Tieren den Rückweg zum zentralen Sammel- und Schlafplatz an.
Nach Angaben des Naturschutzbundes halten sich in den Wintermonaten zwischen Oktober und März an die 50.000 Krähen in Berlin auf. Sie kommen zum überwiegenden Teil aus Rußland, wo es in kalten Wintern nicht genügend Futter gibt. Um die genaue Zahl der Vögel zu ermitteln, führten Ost- und Westberliner Naturschützer am vergangenen Samstag zwischen 14 und 17 Uhr von 13 verschiedenen Positionen im weiten Umkreis des Tiergartens eine Krähenzählung durch. Außerdem wurde das Flugverhalten der Tiere am Radarschirm im Flughafen Tegel untersucht. Das Ergebnis soll Mitte bis Ende der Woche veröffentlicht werden. Der Naturschutzverband erhofft sich davon detaillierte Erkenntnisse, außerdem will er bei den Berlinern ein Interesse für die »Mitkreaturen« und die Natur in der Großstadt wecken. »Wir haben die Leute deshalb aufgefordert, unserem Büro in der Goltzstraße 5 in Schönberg unter dem Stichwort ‘Krähen‚ ihre Beobachtungen mitzuteilen«, erklärte der Vorsitzende des Naturschutzbundes, Hans-Jürgen Stork, gegenüber der taz. »Wir wollen wissen, wann und wo wieviele Krähen bei der Futtersuche sind, wo sie sich sammeln und wohin sie fliegen.«
Die Saatkrähen, Dohlen und Nebelkrähen gehören zu der Familie der Rabenvögel. Die sogenannten Allesfresser verspeisen nicht nur Samen, Nüsse, Engerlinge und Würmer, sondern picken auch liebend gerne im Müll. Sie gelten als außerordentlich intelligent und lernfähig. Wenn sie einmal viele Nüsse gefunden haben, verstecken sie einige davon, und holen sie sich in futterarmen Zeiten wieder. Mit der Hand aufgezogene Jungtiere werden ganz zahm und entwickeln zu den Menschen eine enge Bindung. Die Rabenvögel sind sogar imstande, ein paar Silben sprechen zu lernen. Nicht ohne Grund ist in der germanischen Mythologie die Rede davon, daß der Götterkönig Odin morgens seine beiden Raben Hugin (Gedanke) und Munin (Gedächtnis) ausschickte, um die Welt zu erforschen. Wenn die Raben am Abend zurückkamen, hockten sie sich auf Odins Schultern und raunten ihm ins Ohr, was sie draußen gehört und gesehen hatten.
Daß vermeintlich hilflose Jungkrähen immer wieder von Menschen aufgezogen werden, sieht der Naturschutzbund jedoch gar nicht gern. »Wenn die Tiere wieder freigelassen werden, fliegen sie hinter den Menschen her. Die wiederum bekommen Angst, weil sie sofort an Hitchcocks Film ‘Die Vögel‚ denken«, weiß Stork. »Hitchcock hat die Krähen dressiert, indem er mit ausgestreutem Futter die Lernfähigkeit und das Schwarmverhalten ausnutzte, und daraus einen biologisch völlig falschen Film gemacht« schimpft der Vorsitzende des Naturschutzverbandes.
Wie andere Singvögel stehen die Krähen unter Naturschutz. Im Sommer halten sich in Berlin etwa 150 Paare Saatkrähen, 2.000 Paare Dohlen und 150 Paare Nebelkrähen auf. Die großen schwarzen Scharen sind ein reines Winterphänomen, wenn die Krähen aus dem kalten Norden kommen. Der Schlafplatz im Tiergarten wurden von den einheimischen Rabenvögeln vor ein paar Jahren festgelegt. Davor war es das Wasserwerk Jungfernheide, und davor die Bäume am Flughafen Tegel. Die Russen schließen sich einfach an. Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen