: Das glasierte Waschbrett
■ Franz Heinzer gewann die Abfahrt auf der „Streif“ PRESS-SCHLAG
Wenn man einen Ski-Rennläufer mal ganz fürchterlich erschrecken will, braucht man sich nur an ihn ranzuschleichen und ihm unverhofft das kurze Wörtchen „Streif“ ins Ohr zu raunen. Der Name der berüchtigten Strecke, auf der alljährlich die Kitzbüheler Hahnenkamm-Abfahrt stattfindet, ist geeignet, auch den hartgesottensten Vertretern einer Spezies, die nicht gerade zu den ängstlichsten gehört, eisige Schauer den Rücken hinunterlaufen zu lassen.
In diesem Jahr war die gemeinste aller gemeinen Skipisten ganz besonders gemein. Eine dünne Schneeauflage ließ sie zu einem glasierten Waschbrett werden — unglaublich schnell, dabei zerklüftet wie ein erkaltetes Lavafeld. Normalerweise sei das Skifahren ja eine Angelegenheit auf zwei Brettern, erinnerte sich dunkel der Österreicher Helmut Höflehner, nicht aber auf dieser Streif. Da befände sich ein Bein stets in der Luft. Besonders an den neuralgischen Punkten — der „Mausefalle“, wo die Läufer in eine nicht einsehbare hundert Grad steile Senkrechte hineinspringen müssen, dem „Steilhang“, einer schlauchartig verengten Passage, der „Hausbergkante“ und dem Zielhang, wo das Tempo häufig mehr als 130 Stundenkilometer betrug — wurden den Ski-Alpinisten ihre Arbeitsgeräte von den Bodenwellen und Rippen immer wieder weggeschlagen, und es erforderte höchste Konzentration und Kondition, unversehrt ins Ziel zu kommen. Im Training hatte es mit dem Amerikaner Hudson und dem Norweger Arnesen zwei Schwerverletzte gegeben, und Markus Wasmeier, der sein Training abbrach, gestand unumwunden ein: „Ich hatte Angst.“
Am Tag des Rennens war die Streif durch Tauwetter und persönliche Eingriffe des deutschen Trainers Osswald, der mit einer Schaufel die Mausefalle ein klein wenig entschärft hatte, zwar etwas langsamer geworden, dennoch gab es jede Menge Stürze, die aber meist glimpflich abliefen. Besonders der Mausefallensprung war äußerst tückisch. Wem es bei der Landung die Ski wegriß, der war verloren. „Da kannst du überhaupt nicht mehr reagieren“, sagte Hannes Zehentner aus Aising- Pang, der 39. wurde und seinerseits Glück hatte, daß er bei der Steilhangausfahrt nicht in den Fangnetzen landete. Sein Teamkollege Berni Huber aus Obermaiselstein torkelte förmlich die Strecke hinunter, verpaßte schließlich ein Tor und schien selbst am erleichtertsten zu sein, daß er die Sache hinter sich hatte. „Heil zur WM“ war ohnehin die Devise gewesen, die Trainer Osswald in Hinblick auf die am 21. Januar im österreichischen Saalbach-Hinterglemm beginnenden Weltmeisterschaften ausgegeben hatte.
Ein Sieg in Kitzbühel ist ein Traum“, erklärte der Schweizer Franz Heinzer, der sich diesen Traum aber nur erfüllen konnte, weil Peter Runggaldier den Sprung in die erste Startgruppe noch nicht geschafft hat. So mußte Italiens neues Abfahrts-As mit der Nummer 27 ins Rennen, zu einer Zeit, als die Sicht im oberen Teil durch Nebel stark behindert war. Dennoch legte der 22jährige Holzschnitzer aus dem Grödnertal, der im Training um ein Haar den Streckenrekord des Österreichers Harti Weirather aus dem Jahre 1982 gebrochen hätte, eine fast fehlerlose Fahrt hin und blieb nur sieben Hundertstel hinter dem führenden Schweizer.
Nun durfte Heinzer wirklich träumen, wohlgefällig beäugt von seinem Ex-Teamkollegen Pirmin Zurbriggen, der gemütlich unter den 20.000 Zuschauern saß und gottfroh wirkte, daß er diese Art von Marter endgültig hinter sich hat. Matti
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