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Späths Abgang: „So aufrecht, wie ich kann“

Der dienstälteste Ministerpräsident der Bundesrepublik ist kurz und schmerzlos abgetreten/ Seit der mißglückten Fronde gegen Helmut Kohl war der Stern des Lothar Späth am Sinken/ Verhängnisvolle Lust am „generösen Lebensstil“  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Die Erfolgsstory ist fast klassisch, bis auf die Abweichung am Ende: Steile politische Erfolgskarrieren wie die des Lothar Späth brechen selten mit einem derart jähen Abtritt ab, wie ihn der Stuttgarter Landesvater nach zwölfeinhalb Jahren Amtszeit am Sonntag nachmittag vollzog. Der Kanzler aus Oggersheim hat schwere Krisen ausgesessen, sein ramponierter Verteidigungsminister Stoltenberg überstand die „U-Boot-Affäre“, Niedersachsens Herrenreiter Albrecht ließ sich durch den „Spielbanken“-Skandal nicht vom hohen Roß stoßen, und der hessische Regierungschef Wallmann exerziert gerade, wie einer versucht, sich im Sog des „Staatskanzlei“-Sumpfes über Wasser zu halten. Doch der dienstälteste Ministerpräsident Späth, durch seine feinen Freunde und Gönner in den Ruch geraten, sich bevorteilen zu lassen und dies mit politischen Gaben vergolten zu haben, wählte den besten Weg: einen schnellen und starken Abgang. „Mit Begeisterung und Leidenschaft“ habe er sich mit Land und Leuten identifiziert, „jetzt gehe ich aufrecht, so wie ich kam“. Viel Handlungsspielraum besaß der angeschlagene Ministerpräsident ohnehin nicht mehr.

Die Firma „Baden-Württemberg“

Doch Wehmut klingt mit, als Späth vor die Fernsehkameras tritt und seinen Rücktritt begründet. Er fühle sich zwar nicht als Opfer einer Pressekampagne, aber „als Opfer einiger, die es geschafft haben, mich niederzumachen“, und ihm „keine faire Chance“ gelassen hätten. Zum ersten Mal gesteht er Fehler ein: Er habe sich ungeschickt verhalten, sei vielleicht auch zu vertrauensselig gewesen. Er, der scheinbar bis zuletzt an das materielle Desinteresse seiner Industrie-Spezis glaubte, hatte seine hemdsärmelige Wirtschaftspolitik stets über seine guten persönlichen Drähte zu Wirtschaftsbossen, Fabrikanten, Managern und Bankern betrieben.

Wie ein Manager führte er die Firma „Baden-Württemberg“ in den 80er Jahren zu Rekordmarken: das reichste Bundesland, das höchste Inlands-Bruttosozialprodukt, Exportweltmeister, die niedrigste Arbeitslosigkeit. Das „Cleverle“ Späth brannte ein Feuerwerk um sein Lieblingsthema „Technologietransfer“ ab, das — von anderen Bundesländern kopiert — seinen Ruf als kreativer, umtriebiger „Macher“ untermauerte. Doch im letzten Jahr blätterte der Glanz des von Späth stets gepflegten Geredes vom „Musterländle“ langsam ab: Den „guten Stern über Stuttgart“ zog es nach Berlin, das noch immer satte Wirtschaftswachstum erlahmte, der Schuldenberg stieg. Das Land, so der Bund der Steuerzahler, wirtschafte permanent über seine Verhältnisse. Späths Ruf als erfolgreicher „Macher“ war ramponiert. Zum Verhängnis wurde ihm aber, mit seiner oft unkonventionellen Landespolitik ins gefährliche Fahrwasser unternehmenspolitischer Entscheidungen geraten zu sein.

Landesvater der „kleinen Leute“?

Späth verkörperte in der Öffentlichkeit lange Zeit den Prototyp jenes Politikers, der den problemlosen Umgang mit Menschen aller gesellschaftlichen Gruppierungen und politischen Schattierungen als Stil suchte und damit hohes Ansehen erzielen konnte. „Ich kenne viele Arbeiter, kleine Mittelständler, einfache Leute, die wissen, daß man mit mir noch normal am Biertisch umgehen kann“, beteuerte der Landesvater noch vor wenigen Tagen beim traditionellen Neujahrsempfang, wohl wissend, daß der durch die „Traumschiff-Affäre“ offengelegte Hang zu Großmannssucht und Arroganz seine Popularitätskurve steil nach unten zeigen ließ. Doch sein Regierungsstil, alle wichtigen Dinge allein zu regeln und die Ressortchefs teilweise zu Hofschranzen zu degradieren, legte geradezu aristokratische Züge offen.

Der Landesfürst Späth überzog das Land mit hochtrabenden Kunstplänen: Er ließ sich für 90 Millionen D-Mark eine Staatsgalerie bauen, steckte 100 Millionen in die Staatsoper und weitere 40 Millionen in das Schloß Solitute, plante eine großzügige Regierungs- und Kunstmeile um den Landtag, für die etliche Mietshäuser weichen müssen, und hält sich mit dem Staatstheaterintendanten Gönnenwein sogar einen Staatsrat im Kabinettsrang. Späth, der als Liberaler innerhalb der CDU galt, entpuppte sich bei der Schulpolitik, bei Asyl- und Ausländerfragen und bei der Debatte um den Paragraphen 218 als Hardliner. Unvergessen bleibt auch, wie sich Späth mit seinem damaligen Chef Filbinger im badischen Whyl mit seiner strammen Atomstrompolitik eine blutige Nase holte und seine Baumaschinen unverrichteter Dinge wieder abziehen mußten.

Späths steiler Aufstieg zum herausragenden Ministerpräsidenten und ehemaligen Kronprinzen des Kanzlers Kohl ist schnell erzählt: Späth, 1937 in Sigmaringen geboren, wurde nach einer Verwaltungslaufbahn mit 30 Jahren Bürgermeister von Bietigheim; ein Jahr später saß er für die Union im Stuttgarter Landtag. Von 1970 bis 1974 diente er als Geschäftsführer der Neuen Heimat in Süddeutschland, für die er auch im Hamburger Aufsichtsrat saß. Der generöse Lebensstil der Neuen-Heimat-Chefs habe dem ehrgeizigen Späth imponiert, wurde nicht zuletzt bei den bekanntgewordenen Extratouren auf Firmenkosten immer wieder kolportiert. Späth wechselte anschließend zur Baufirma Baresel. Aus jener Zeit stammen auch viele der perönlichen Banden, die jetzt seinen tiefen Sturz ausgelöst haben. Späths saubere politische Karriere begann 1972, als er die CDU-Landtagsfraktion übernahm. Nachdem der gravitätische, furchtbare Marinestabsrichter Filbinger 1978 wegen seiner am Kriegsende gefällten Todesurteile abtreten mußte, setzte sich der damalige Innenminister Späth gegen den Stuttgarter OB Rommel durch, wurde Ministerpräsident und kurz darauf auch CDU-Landesvorsitzender.

Das gescheiterte „Brutusle vom Neckar“

Späths Karriere erhielt im Sommer 1989 den entscheidenden Knick: Beim kläglich mißlungenen Putschversuch gegen den Kanzler reichte es Späth nur zum „Brutusle vom Neckar“.

Die Quittung für sein Zaudern: Er flog hochkant aus dem CDU-Bundespräsidium. Seither zieht sich auch eine Spur der Mißerfolge durchs Land: ob bei der geplatzten Daimler- Teststrecke am Boxberg, der mißglückten Rundfunkfusion, der Niederlage gegen die Nudelfirma Birkel oder dem Skandal um das illegal betriebene Uralt-AKW Obrigheim — Späth mußte Federn lassen. Bei der Parteispendenaffäre schließlich nahm er entscheidend politischen Schaden: Im Prozeß gegen den früheren Bosch-Chef Merkle blieb der Zeuge Späth unvereidigt — wegen „Verdachts der Beteiligung“.

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