: “Ich habe heute morgen schon geweint“
■ Stellt Euch vor es ist Krieg: BremerInnen in Angst vor dem großen Knall
Den ganzen Tag über demonstrierten in Bremen und umzu die Menschen gegen den drohenden Krieg. Die taz befragte einige von ihnen, welche Gefühle sie in den letzten Stunden vor dem Ablauf des Ultimatums bewegen.
Fabian Ostner, Zivi, 22: Ich hoffe, daß der Krieg noch zu vermeiden ist, ich glaube es aber nicht. Ich habe große Angst. Der Krieg wird unabsehbare Folgen für das Klima haben. Zigtausend Menschen werden sterben. Heute haben wir auf meiner Zivildienststelle darüber geredet, ob die Amis die Atombombe einsetzen. Ich bin völlig hilflos, das Mindeste ist, jetzt auf die Straße zu gehen.
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Mann mit der Rasta-Frisur
Fabian Ostner, Zivi
Sonja Koineke, Abiturientin, 19: Ich hoffe so sehr, daß der Krieg noch zu verhindern ist. Wenn's losgeht, ertrage ich das, glaube ich, nicht: Ich habe das Zyankali schon im Keller.
Oliver Rathjen: Wenn außenpolitisch mehr getan wird, ist der Krieg noch zu verhindern. Genscher bemüht sich ja sehr. Vielleicht kapiert Hussein noch in letzter Minute. Natürlich sind auch die Amis zu strikt bei der Sache. Aber wenn's da unten knallt und die Ölfelder brennen, haben wir hier den Wettersturz.
Ingrid Flügge, 50: So traurig wie es ist, aber ich glaube nicht, daß der Krieg noch zu verhindern ist. Dieser Krieg wird in seinen Auswirkungen schlimmer sein, als Tschernobyl. Ich habe heute morgen schon für mich alleine vor dem Fernsehen geweint.
Peter Stuke: Ich glaube immer noch, daß der Krieg nicht stattfindet. Die ganzen Demos jetzt können vielleicht bewirken, daß nochmal nachgedacht wird.
Walter Spöring, Maler, 55: Irak und USA wollen, daß es Krieg gibt. Die haben jetzt soviel Kriegsmaterial da, daß sie das auch ausprobieren wollen. Auch Deutschland hat denen ja Kriegsmaterial verkauft. Wir werden alle davon betroffen sein, weil das eine Umweltkatastrophe von unwahrscheinlichen Ausmaßen.
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Walter Spöring
Walter Spöring
Michell und Mike, Schülerinnen, 10. Klasse: Wir meinen, daß es Krieg gibt. Die ganze Welt wird davon betroffen sein, auch wir, wenn die Ölfelder brennen und die Amis ihre Atombomben abfeuern.
Oberst Ekkehart Löhr, Standortältester der Bundeswehr, hochrangigster Militär in Bremen: Meine Gedanken als Soldat richten sich zu diesem Zeitpunkt vor allem auf die letzte Hoffnung, daß es nicht zum heißen Krieg kommt, daß wir als Soldaten unser Vertrauen in die Politiker, in die Diplomatie bestätigt finden. — Unsere Phantasie reicht nicht aus, uns vorstellen, wie eine Auseinandersetzung aussehen könnte.
Birsen Tegge, türkische Bremerin, Hausfrau: Die Menschen sollen in Frieden leben. Ich bin nicht einverstanden: Nur wegen einer Person, wegen Saddam Hussein, macht man doch keinen Weltkrieg. Ich bin auch Mohammedaner. Aber was Saddam Hussein sagt, daß das mit dem heiligen Krieg im Koran steht, das ist Blödsinn. Nach dem Koran darf man kein Blut vergießen. Wenn es im Koran stehen würde, möchte ich gerne von Hussein wissen: Auf welcher Seite steht das? Welchen Koran meint er? Den, den er selber geschrieben hat? Wenn das tatsächlich im Koran steht, verlasse ich sofort meinen Glauben und gehe in eine Kirche.
Ich habe noch eine Tochter in der Türkei. Ich habe Angst, Irak und Türkei haben eine gemeinsame Grenze. Alles nur wegen dem blöden Hussein. Der soll hängen.
Dr. Bernd Schulte zu Berge, Oberstleutnant der Reserve und CDU-Bürgerschaftsabgeordneter. Er wird ab 25. Januar das Kommando über 3.500 Reserve-Soldaten übernehmen: Ich hab' heute nacht gar nicht schlafen können. Jede Stunde Nachrichten angemacht.
Jeder Krieg ist etwas ganz Schlimmes, und der Golfkrieg wird auch auf Europa Auswirkungen haben. Insofern hoffe ich noch ein bißchen, daß die Initiative von Frankreich eintrifft und daß man noch eine Sicherheitskonferenz im Nahostbereich einbezieht.
Ich bin gestern abend am Marktplatz gewesen, da hatten junge Leute Kerzen aufgestellt. Das hat mich sehr tief getroffen. Ich bin auch stehen geblieben und habe einige Zeit mich beteiligt. Wobei die genauso hilflos sind, wie ich.
Gabi Wagner, Beamtin bei der Bundeswehrverwaltung Bremen: Ich gehe eigentlich davon aus und hoffe es auch, daß sich noch gütlich geeinigt wird. Und daß man immer noch mal zeigt, daß der Westen nach wie vor kompromißbereit ist. Einen Krieg, gewiß den kalkuliert man ein. Aber so recht glauben kann ich das nicht.
Günter Weiland, Chef im Bundeswehrhochhaus Bremen (Leiter der Standortverwaltung): Ich schätze, daß der Hussein bis zum letzten Moment pokert. Wenn es zum Krieg kommt, wird es sehr furchtbar werden. Dann wird es sehr schmerzhafte Verluste geben. Man kann nur beten. Ich bin alter Soldat, leite diese Dienststelle seit 15 Jahren, davor war ich lange bei der aktiven Truppe. Wenn heute einer sagt: 'Ich habe keine Angst–, der lügt. Ich bin ganz schwer verletzt worden im letzten Krieg. Ich hatte einen Brustschuß. Das rechte Bein völlig durchschossen.
Wir können nur beten. Mein Sohn ist selber bei der Bundeswehr. Er ist bei der Luftwaffe. Das Geschwader, was auch die Lebensmittel in die Türkei nachliefert, ist aber nicht das Geschwader von meinem Sohn. Ich habe gestern abend mit meiner Frau lange darüber geredet. Meine Frau zittert ganz tüchtig zu Hause. Obgleich ich alter Soldat bin und vom ersten Tag dabei: Ich bange um meinen Sohn auch, wenn der da hin muß. Frauen sind da natürlich noch ein bißchen ängstlicher.
Nikolaus Witte, Schüler, 18 Jahre: Die USA haben sich da in eine Sache reingesteigert, von der ich glaube, daß es für sie einen Gesichtsverlust bedeutet, wenn das Ultimatum ausläuft und sie tun nichts. Wenn es zu einem Krieg kommt, wird das uns auch betreffen: Die Umweltkatastrophe — das ist voll die Härte.
Ein in Bremen lebender Iraker, einst im Libanon kämpfender PLO- Mann: Heiliger Krieg, Heiliger Krieg — was ist das? Natürlich gibt es einen Heiligen Krieg, das steht schon im Koran, daß es den irgendwann geben wird. Wir Araber warten darauf: Gegen die Juden. Denn Palästina gehört uns, und nicht den Juden. Wir sind Araber und hoffen immer auf den Krieg — auf den richtigen Krieg. Ob dieser Krieg von Saddam schon der Richtige ist, wer weiß....Aber wir werden kämpfen. Und wir werden gegen die Amerikaner gewinnen. och/bd/ra
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