: Neu in der Schauburg: "Cyrano von Bergerac"
■ Mit Mantel, Degen und langer Nase
Bei dem Stichwort „lange Nase“ denken die Franzosen nicht etwa an Pinocchio, sondern sie schwärmen wehmütig von einem romantischen Helden, dessen Mundwerk genauso spitz wie seine Klinge war. Von einem, der sich aber dennoch nicht traute, der Angebeteten seine Liebe zu
„Im Abspann wird gleich nach dem Waffenberater die Nasenbildnerin angeführt“
gestehen, weil er sich seines gewaltigen Zinkens schämte. Kleine französische Kinder kleben sich gern Kaugummis an die Nase und spielen „Cyrano von Bergerac“.
Bei dieser neuen Verfilmung des etwa hundert Jahre alten Theaterstücks von Edmond Rostand wird im Abspann gleich nach dem Waffenberater die Nasenbildnerin aufgeführt. Und Gerard Depardieu trägt in diesem verschwenderisch ausgestatteten Film einen riesigen Riechkolben mit sich herum.
Die schönsten Mantel-und-Degen-Filme kamen immer aus Frankreich. „Cyrano“ steht in der sehr unterhaltsamen Tradition von „Fanfan, der Husar“ oder „Cartouche, der Bandit“. Da wird durch tollkühne Abenteuer gefochten und geritten, und die einzige Schwäche von Belmondo, Gerard Philipe oder Depardieu sind die Frauen.
Aber Regisseur Jean-Paul Rappeneau gab sich nicht mit den Konventionen dieses Genres zufrieden. Dies ist, mit einer maßgeschneiderten Paraderolle für Gerard Depardieu, ein prunkvoller Film fürs große Publikum. Wie gut er gemacht ist, wird einem erst klar, wenn man merkt, daß in den 138 Minuten nur in der Reimform der Originalvorlage gesprochen wird. Bei Shakespeareverfilmungen sind die Verse Pflicht, aber im populären Kino gelten sie als Kassenkiller.
Im „Cyrano“ kommt die Poesie so selbstverständlich und natürlich daher, daß sie alle Abwehrmechanismen derjenigen, die das Gedichtlernen in der Schule gehaßt haben, elegant unterläuft. Die Dichtkunst selber wird gefeiert, denn mit seinen unwiderstehlichen Liebesbriefen erobert Cyrano ja die Liebe der holden Roxane; das Problem ist nur, daß diese den schönen aber tumben Christian für den Verfasser halten muß.
Rappeneau und der Drehbuchautor Jean-Claude Carriere haben auch der Versuchung widerstanden, das Ende gemäß den Spielregeln der Kinodramaturgie zu schönen (wie etwa in der modernen Hollywood-Version „Roxanne“ mit Steve Martin). Dies ist einer von den großen Filmen, von denen unsere Eltern immer wieder sagen, daß es sie heute gar nicht mehr gibt: Bunt und großartig ausgestattet, klassisch, gefühlvoll und keusch.
Nur die Vulgärfreudianer mit ihren überall erigierenden Symbolen können sich verschämt an die Nase fassen. Wilfried Hippen
Schauburg, Gr. Haus, 16, 18.30, 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen