: »Hey Mr. Bush, der Klügere gibt nach«
■ 25.000 SchülerInnen der Berliner Oberschulen demonstrierten gestern gegen den drohenden Krieg am Golf/ Weitere Schulboykotte sind geplant
Berlin. »Wir Kinder machen alles, damit der Krieg keine Zukunft hat« — hinter diesem acht Meter langen Spruchbanner, daß von behinderten Kindern aus Ost-Berlin gemalt worden war, demonstrierten gestern über 25.000 Schülerinnen und Schüler in der Berliner Innenstadt gegen den drohenden Kriegsausbruch in der Golfregion. Die LandesschülerInnenvertretung, die zu dem Protestmarsch aufgerufen hatte, sprach von einer der größten Jugenddemonstrationen, die es in Berlin je gab. Für die kommenden Tage forderte die LandesschülerInnenvertretung alle SchülerInnen auf, den regulären Unterricht zu boykottieren und sich statt dessen »möglichst« zusammen mit den Lehrern in alternativen Projekten mit dem Kriegsausbruch auseinanderzusetzen.
Der Aufruf zur Mahnwache an der Gedächtniskirche und anschließenden Demonstration über den Kurfürstendamm wurde gestern von weit über der Hälfte der Westberliner Oberschulen befolgt. Die 160 Oberschulen werden von rund 75.000 Schülern besucht. Von den rund 100 Oberschulen (42.000 Schüler) aus dem Ostteil der Stadt und aus Brandenburg nahmen über 1.000 Schüler an dem Protestmarsch teil. Die Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 20 Jahren zogen am Vormittag in Sternmärschen von ihren Schulen in die Innenstadt. Unter Losungen wie »Kein Krieg am Golf«, »USA — internationale Völkermordzentrale« oder »Hey Mr. Bush, der Klügere gibt nach« ging es anschließend vom Breitscheidplatz zum Adenauerplatz und wieder zurück. Anschließend liefen mehrere tausend Schüler spontan gen Brandenburger Tor zur ehemaligen Amerikanischen Botschaft in Ost-Berlin.
Viele Jugendliche hatten sich schwarze Peace-Zeichen oder Totenkreuze auf die Gesichter gemalt. Eine Klasse und ihr Mathematiklehrer kamen mit weißgeschminktem Antlitz »als wandernde Leichen«, andere hatten sich in schwarze Tücher gehüllt und schwangen eine Sense. Etliche Lehrer und Schüler hielten brennende Kerzen in den Händen, andere trommelten oder sangen ein Lied von John Lennon, »all we are saying is give peace a chance«.
Die Mehrzahl der Schüler hatte die Schulen ohne Schwierigkeiten verlassen können. Sie bekamen einfach frei. Es wurde aber auch bekannt, daß manche Lehrer mit der Eintragung eines Fehltags oder einer Sechs drohten, wenn keine Entschuldigung gebracht werde. Aus einigen Schulen wie der Beuke-Oberschule wurde bekannt, daß Lehrer und Direktor die Schüler am Verlassen des Gebäudes zu hindern suchten. Ernsthafte Probleme soll es auch im Französischen Gymnasium gegeben haben.
Die Landesschülervertretung wies deshalb gestern vorsorglich darauf hin, daß von Repressionen bedrohte SchülerInnen kostenlose Rechtshilfe bekommen. Der Sprecher der Schulverwaltung, Erikson, erklärte auf Nachfrage, es sei den Schulen überlassen, wie sie auf das Fernbleiben der Schüler in dieser »Ausnahmesituation« reagierten. »Wir gehen aber davon aus, daß sich die Schulen verantwortungsbewußt und angemessen verhalten.« Ob in den kommenden Tagen eine Anweisung an die Schulen ergehe, hängt laut Erikson davon ab, ob es weitere Boykotte gibt und wie sich die weltpolitische Lage entwickelt. plu
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