: Perspektivenwechsel: Die Ferne der Golfkrise
In Ostasien dreht sich das diplomatische Karussell/ Auf der Tagesordnung steht die Neuordnung der Macht in Asien ■ Aus Tokio Georg Blume
Der Westen hat nur den Krieg im Kopf. Japan liegt im Osten. Und am 15. Januar — mochten Bush und Saddam befehlen, was sie wollten — war in Japan Feiertag. Der Tag der Jugend, die erwachsen wird, Tag der Zwanzigjährigen, die an diesem Tag ihre Bürgerrechte erhalten. Da gehen dann die Herangewachsenen im Festgewand aus und stellen sich stolz der Gesellschaft zur Schau. Und statt die Leser mit dem Gerede über Nahost zu sorgen, kommentierte Japans führende Tageszeitung 'Asahi Shinbun‘ lieber die Konsumgier der neuen Jugend.
Während im Westen seit Monaten alle Augen auf die Entwicklung im Nahen Osten — und in Osteuropa — gerichtet sind, dreht sich zum Jahresbeginn 1991 das diplomatische Karussell Ostasiens. Auf der Tagesordnung steht die Neuordnung der Macht im wirtschaftlich prosperierendsten Teil der Welt. Mag es gegenwärtig in der internationalen Öffentlichkeit auch anders wahrgenommen werden, so ist Ostasien jedoch keinesfalls ein Nebenschauplatz. Nur gelingen hier die Machtverschiebungen oftmals hinter den Kulissen.
Im Länderviereck Japan, Korea, China, Sowjetunion finden seit Jahresbeginn fast täglich Begegnungen auf höchster diplomatischer Ebene statt. Von den Regierungen weiß derzeit keine, wer sein liebster Nachbar ist. In diesem Monat entsendet Tokio den Premierminister nach Soul, den Finanzminister nach Peking und den Außenminister nach Moskau. Alle drei verhandeln über für Jahrzehnte bedeutsame bilaterale Verträge. Kein Wunder also, daß sich Japan in der Golfkrise damit begnügt, den USA Barschecks zu unterschreiben.
In Soul erfreut sich die Regierung eines nie gekannten außenpolitischen Spielraums. Frei vom historischen Erbe Japans kann Präsident Roh Tae Woo mit den wirtschaftlichen Kooperationsinteressen Chinas und der Sowjetunion jonglieren, um gleichzeitig die Annäherung der beiden Koreas voranzutreiben. Vergangene Woche empfing er den sowjetischen Vizeaußenminister, diese Woche kündigte er an, daß es zum ersten Mal ein gemeinsames Nationalteam Koreas bei den kommenden Tischtennisweltmeisterschaften geben wird — ein bedeutsamer symbolischer Akt.
Auch die Regierung in Peking nutzt die auf die Golfkrise und die Entwicklungen in Osteuropa gerichtete Aufmerksamkeit des Westens, um Chinas politischen Einfluß als asiatische Vormacht auszubauen. Die diplomatische Vorsicht der vergangenen Jahre im Umgang mit den japanischen Nachbarn zahlte sich erst in diesem Monat aus, als die Tokioter Regierung alle nach dem Massaker vom Tiananmen verhängten Sanktionen endgültig aufhob. Das pragmatische, betont ökonomische Bündnis zwischen den historischen Erzfeinden hat damit seine bisher schwerste Prüfung überstanden.
Gemeinsam pokern die Regierungen in Peking, Soul und Tokio um die sowjetische Freundschaft. In Moskau aber ist noch nicht entschieden, wer der geeignete Partner in Fernost zur Erschließung Sibiriens ist. Gemeinsam ringen China, Südkorea und Japan auch um die Vormacht in Südostasien, wo sich das regionale Staatenbündnis ASEAN in diesem Jahr vorgenommen hat, eine gemeinsame Verteidigungspolitik zu entwickeln. In all diesen Kernfragen fernöstlicher Diplomatie hat die Stimme der USA an Gewicht verloren. Auch das ist neu für Asien.
Wo hier in Ostasien derzeit weltpolitische Fragen erörtert werden, da drängt sich nur selten das Bild eines von der US-amerikanischen Weltpolizei dirigierten Globus' auf. Zu tief erscheint der wirtschaftliche Abgrund, der heute Japan von Kalifornien trennt. Da fehlt es schlicht an Respekt für die Washingtoner Machtansprüche.
Das im Westen wiederbelebte Bild vom alten Streit zwischen Abend- und Morgenland, das die Weltpolitik bestimmt, stößt hier auf wenig Interesse. Wie schon zu vielen Zeiten, als sich im Orient Historisches zutrug, zeigen die politischen Uhren des Fernen Ostens auch heute auf unterschiedliche, gegenläufige Entwicklungen. Wirklichkeitsfremd erschienen die Bilder aus Washington, die am Dienstag Tokio erreichten. Dort war der japanische Außenminister Taro Nakayama zum Tag der Entscheidung bei Präsident George Bush zu Gast und spielte die Rolle des engsten Verbündeten. Kein anderes Land zahlte mehr als die Wirtschaftsweltmacht Nippon für den US-Einsatz am Golf. Große Worte wurden deshalb ausgetauscht. Im staatsmännischen Ton versuchte sich Nakayama alsbald vor der japanischen Kamera: „Für mich stellt sich die Nahostkrise heute weit ernsthafter dar, als noch zum Zeitpunkt, wo ich aus Tokio abreiste.“ Das war am Montag. Offenbar muß auch der Außenminister erst das Land verlassen, um das westliche Kriegstheater zu begreifen.
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