: Der Krieg als rituelles Opfer
■ Der New Yorker Psychohistoriker Lloyd de Mause zur Psychologie des bevorstehenden Golfkriegs. INTERVIEW
Lloyd de Mause ist dem deutschen Publikum spätestens seit seiner Studie zu „Reagans Amerika“ (Verlag Roter Stern) ein Begriff. Seine provokanten Thesen, nicht zuletzt aber sein psychoanalytischer Blick auf Geschichte und aktuelles Zeitgeschehen haben ihn zum „enfant terrible“ unter den Historikern gemacht.
taz: Angesichts der drohenden kriegerischen Auseinandersetzung, die ihr Land am Golf in Szene setzen will, sind Sie in Opposition gegangen. Sie unterstützen also die Friedensbewegung?
Lloyd de Mause: Als jemand der psychohistorisch mit Geschichte umgeht, sehe ich, daß da ein Fehler gemacht wird. Und zwar auch von den mehr als 200.000 Menschen, die am letzten Wochenende in ihrem Land gegen den Krieg demonstrierten. Da war doch die Rede davon, daß der Krieg wegen des Öls geführt wird. Dem ist nicht so. Es geht nicht um ökonomische Interessen. Es geht eher um Irrationales, das Problem liegt tiefer.
Das Problem ist vielmehr, daß wir uns in den USA zur Zeit in einer Art „Kriegs-Trance“ befinden. Sie in Europa befinden sich nicht in dieser Trance und von daher sieht die mehrheitliche Zustimmung der Bevölkerung der USA zum Krieg für Sie irrational aus. Sie müssen einfach meinen, da lägen ökonomische Gründe vor. Aber nein, ich habe eine Menge Freunde in der Öl-Industrie, die wollen alle keinen Krieg. Sie sind sogar sehr dagegen und nehmen eine aktive Position gegen die Regierung ein.
Alle zwanzig Jahre in Kriegs-Trance
Wenn die ökonomischen Gründe nur scheinbare sind, worum geht es dann?
Die USA gehen alle 20 bis 25 Jahre in diese Trance. Wir hatten den Krieg in Vietnam, in Korea und überhaupt hatten wir in den letzten zweihundert Jahren immmer wieder in diesem Zeitabstand eine kriegerische Auseinandersetzung.
Da muß man sich fragen, genauso wie bei einem Täter, der in bestimmten Zyklen mordet oder stiehlt, was treibt uns in diese Zyklen?
Bei der Beantwortung dieser Frage kommt bei Ihnen immer wieder die Analyse der Gruppenphantasien zum Tragen. Sie nehmen sich die Schlagzeilen, die politischen Cartoons und die Frontcover der Magazine vor und analysieren deren Gehalt an unbewußten Phantasien. Auch zum Thema Golfkonflikt?
Selbstverständlich. Als wir das für das Jahr 1990 taten, fiel uns auf, das Gleiches geschah, wie vor dem Vietnam-Krieg. In den Cartoons wiederholten sich beispielsweise immer wieder zwei Motive: Das erste ist das von erschossenen Kindern. Kindern, die im Sterben liegen. Ohne jede Veranlassung tauchten bereits vor Beginn der Golfkrise solche Motive auf. Das zweite Bild ist das von sehr üblen Mutterfiguren, von schlechten Müttern von gefährlichen Frauen. Wenn man beide Motive sieht und berücksichtigt, daß sie bereits im Falle Vietnam und Korea eine Rolle spielten, in Konflikten also, die auch durch unsere emotionale Verfassung bestimmt waren, dann fragt man sich, welches Szenario hier eigentlich ausagiert wird.
Was hier tatsächlich ausgetragen wird, ist die rituelle Opferung von Kindern, die Amerika von aller Schuld reinwaschen soll, die es in den letzten 25 Jahren angehäuft hat. Die genannten Zyklen dienen genau diesem Zweck. Da genügt ein Blick in die Geschichte: In früheren Zeiten, in Ägypten, Mesopotamien oder Hawai wurden Kinder oder junge Männer geopfert, weil sich die Alten schuldig fühlten. Schuldig, zuviel Fortschritt, zuviel Prosperität erreicht zu haben. Die Nation sollte von solch vergiftenden Schuldgefühlen erlöst werden — der Jugend wurde das Herz herausgeschnitten und in den Rachen des Gottes geworfen. Genau das tun wir gerade ganz aktuell. Die Bühne ist für das Opfer gerichtet: Wenn eine Nation wie die USA zuviel Fortschritt, zuviel Prosperität, zuviel Sex, zuviel Feminismus entwickelt hat, beginnt sie sich vergiftet, schuldig zu fühlen.
Bush und Hussein arbeiten ihre Kindheitstraumata auf
Das klingt zunächst einmal widersinnig. Wo sollen denn solche Schuldgefühle ihren Ursprung haben?
In der Kindheit, der autoritär durchlebten, restriktiven Kindheit. Der Teil der Nation, der die schlimmste Kindheit hatte, stimmt jetzt für den sofortigen Krieg. Wie Sie am Kongreß sehen, ist das so ziemlich genau die Hälfte der Leute. Die andere Hälfte der Nation, die in ihrer Kindheit nicht mißhandelt wurde, die nicht derartige Traumatisierungen erfuhr, die sagen jetzt: Laß uns keinen Krieg beginnen, laß uns mit Hussein genau das machen, was ich in meiner Kindheit als miese Behandlung erfuhr: Liebesentzug — Das ist das Embargo.
Mit anderen Worten, die geschlagenen Kinder votieren für den „Tritt in den Arsch“, wie Bush sagte und die anderen, die eine bessere Kindheit hatten, für das Embargo.
Da müssen die Reaktionsmuster von Bush und Hussein wohl auch aus ihrer Kindheit stammen, oder?
Sie müssen verstehen, daß all das, was wir hier in den USA und im Irak erleben so eine Art „Flash-Back“ ist: zurück zu den Erlebnissen der Kindheit. Da kommen Intrusionen in unserer Psyche zum Tragen, die auf die schrecklichen Traumatisierungen unserer Kindheit zurückzuführen sind. George Bush spricht in der Sprache, in der sein Vater zu ihm sprach: Der trat ihn in den Arsch. Und hört man auf Hussein, dann spricht der über sein Trauma, das er im Alter von sieben Jahren durch eine blutige Beschneidungszeremonie erfuhr. Das war eine so blutige Angelegenheit, daß er jetzt von Soldaten spricht, die er ausbluten lassen will. Gleichzeitig spricht er von Kuwait als einem Abkömmling, als einem Teil, das er zurückhaben will — es ist seine Vorhaut, die er zurückhaben will.
Alle politischen Führer sind gute Söhne
Mir scheint, Hussein und Bush sind beides gute Söhne ihrer Väter?
Alle politischen Führer sind gute Söhne und agieren ihre qualvolle Kindheit lediglich aus. Keine Frage! Denn schließlich killt der Krieg vorwiegend die Jugend, sozusagen das Kind in uns. Wenn Bush von Bestrafung Husseins redet, dann meint er eigentlich Selbstbestrafung, und agiert dabei in der Rolle des eigenen Vaters. Hussein sagt ebenfalls, er wird uns bestrafen und seine arabische Familie vom Gift des Westens reinwaschen. Das ist doch ebenfalls ganz offensichtlich die Beziehung zu seiner eigenen Familie ... überhaupt: Wir alle kommen im Krieg mit den Traumata unserer Kindheit in Berührung, mit dem, was uns Vater und Mutter antaten.
Der Countdown zum Krieg läuft. Ihre Interpretation des Ganzen zeigt viel Wahn- und Krankhaftes als Ursache dafür. Ist denn wenigstens noch eine kurzfristige Therapie der Verantwortlichen möglich?
Ich glaube nicht. Trotzdem habe ich kürzlich mit kompetenten Psychiatern den Fall durchgespielt, der Senat, überhaupt die ganze Administration ginge für einen Monat zu uns in Behandlung. Wir diskutierten darüber, welche Therapie für ihren post- traumatischen Streß die richtige sein könnte, wie wir verhindern könnten, daß die Verantwortlichen ihre Traumatisierung an anderen ausagieren bzw. die ganze Welt retraumatisieren.
Mit welchem Ergebnis?
Wir waren uns einig, daß wir nicht mit ihrer Wut arbeiten würden, sondern mit ihrer Trauer. Mit ihrer Trauer um die verlorene Kindheit. Insofern würde ich zu Demonstrationen nur noch mit einem Kindersarg, einer schwarzen Trauerbinde um den Arm, einer Kerze in der Hand gehen und weinen. Und damit das unbewußte Leiden der Verantwortlichen an ihrer vergangenen Kindheit und das zukünftige Leiden der Kinder im Irak und in Nahost verbinden.
Interview: Detlef Berentzen
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