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Der Golfkrieg hat begonnenUS-Bomben auf Bagdad

■ Die amerikanische „Operation Wüstensturm“ zerstörte wichtige irakische militärische Ziele ohne nennenswerte Gegenwehr. Die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist noch unbekannt. Die Türkei gibt ihre Militärbasen für Angriff frei.

Mit massiven Luftangriffen auf irakische Militärstellungen, Kommunikations- und Kommandozentralen haben die USA und ihre Alliierten in der Nacht zum Donnerstag den Golfkrieg begonnen. Die Bombardements setzten gegen ein Uhr MEZ ein und dauerten bei Redaktionsschluß noch an.

Gestern abend hat das türkische Parlament den gegen Irak kämpfenden Truppen die Nutzung ihrer Stützpunkte für Angriffszwecke erlaubt. Die rund 100.000 türkischen Truppen entlang der Grenze zum Irak wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Menschen flohen zu Tausenden aus dem Grenzgebiet, Geschäfte blieben geschlossen.

Gegen 15 Uhr MEZ war Verteidigungsminister Cheney im Pentagon vor die Presse getreten und hatte erklärt: „Bis jetzt verläuft die Operation sehr gut.“ Es seien über 1.000 separate Angriffe geflogen worden. „Dies ist eine sehr ernste Angelegenheit“, sagte er. „Wir sind im ganz frühen Stadium einer Operation, die wahrscheinlich eine beträchtliche Zeit andauern wird.“ Wie Generalstabschef Colin Powell bestätigte, ging es zunächst darum, die Lufthoheit über Irak und Kuwait zu erringen sowie die Militärführung Iraks auszuschalten. Dies sei der Beginn eines „integrierten Feldzugs“, der später auch Bodentruppen einschließen würde. Zwei Stunden nach Beginn der Luftangriffe hatte US-Präsident Bush in einer Ansprache erklärt: „Die Welt konnte nicht länger warten. Kuwait wird frei sein.“ Verteidigungsminister Cheney hatte ebenfalls in der Nacht gesagt: „Unser Ziel ist die Zerstörung der offensiven Kapazitäten Saddam Husseins.“

Die „Operation Wüstensturm“, wie dieser Krieg in den USA jetzt genannt wird, bestand aus zwei Wellen von Luftangriffen auf Bagdad, Kuwait und Stellungen im Raum Basra. Die erste Welle setzte am Donnerstag morgen um ein Uhr MEZ ein und dauerte etwa vier Stunden. Flugzeuge flogen viertelstündlich Angriffe auf die irakische Hauptstadt. Aus Bagdad berichteten Reporter, Bomben seien ins Zentrum der rund vier Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt gefallen. Explosionen hätten die Erde erzittern lassen, am Himmel habe das Mündungsfeuer von Flakgeschützen gezuckt. Nach Angaben des Pentagons wurden Militärflughäfen und mutmaßliche Standorte von chemischen Waffen zerstört; die Elitetruppe „Republikanische Garde“ sei zum „großen Teil kampfunfähig gemacht“ worden. Standorte irakischer Raketen der Typen SAM-6, SAM-8 und „Scud“ stünden „in Flammen“. Darunter seien auch zwei im Westen Iraks, an der jordanischen Grenze, stationierte, welche gegen Israel eingesetzt hätten werden können. Aus Großbritannien wurde gemeldet, die irakische Luftwaffe sei „größtenteils zerstört“.

Luftabwehr ausgeschaltet

Gegen Irak wurden nach US-Angaben unter anderem vom Radar nicht aufspürbare „Stealth“-Bomber eingesetzt. Insgesamt 100 „Tomahawk“-Cruise-Mittelstreckenraketen wurden von Kriegsschiffen im Persischen Golf abgefeuert. Saudische „Tornado“-Flugzeuge und kuwaitische „Jaguars“ nahmen ebenfalls an den Angriffen teil. Auf britischer Seite waren 45 Kampfflugzeuge vom Typ Tornado GR-1 beteiligt; aus deren niedriger Flughöhe kann auf die frühe elektronische Ausschaltung der irakischen Luftabwehr geschlossen werden.

Zum Zeitpunkt der ersten Bombardierungen war Bagdad nicht abgedunkelt; Sirenenwarnungen kamen erst nach einer Viertelstunde. Stundenlang gab es keine offizielle Reaktion der irakischen Regierung. Bis etwa fünf Uhr MEZ sendete Radio Bagdad nur Lesungen aus dem Koran; danach wurde eine Rede Saddam Husseins ausgestrahlt, in der dieser sagte: „Die Mutter aller Schlachten hat begonnen. Unsere Soldaten werden standhaft stehen.“ Er rief zum „Sieg über den Satan im Weißen Haus“ auf und erklärte: „König Fahd wird in der Hölle verrotten!“

Eine zweite Angriffswelle begann bei Tageslicht mit weiteren Luftangriffen und Truppenbewegungen an der saudisch-kuwaitischen Grenze. Erste Gerüchte, es sei in Kuwait bereits zu Kampfhandlungen mit irakischen Bodentruppen gekommen, bestätigten sich nicht. Die jetzt etwa stündlichen Bombenabwürfe auf Bagdad galten dem Verteidigungsministerium, das von Cruise-Mittelstreckenraketen getroffen wurde, dem Fernmeldezentrum, und der Zentrale der regierenden Baath-Partei. Welche Ziele im besetzten Kuwait getroffen wurden, blieb zunächst unbekannt.

Bei den Angriffen auf Kuwait in dieser „zweiten Phase“ waren auch französische Flugzeuge beteiligt. Zuvor war in einer Vereinbarung zwischen Paris und Washington festgelegt worden, Frankreich würde sich nur an offensiven Aktionen der multinationalen Streitmacht in Kuwait, nicht aber auf irakischem Territorium beteiligen. Von den zwölf in Kuwait eingesetzten französischen „Jaguar“-Bombern wurden vier beschädigt.

Irakische Gegenangriffe gab es offenbar kaum. In der saudischen Hafenstadt Khafji wurden allerdings vorübergehend Zivilisten und Soldaten evakuiert, teilte der saudische Militärsprecher in Riad am Abend mit. Khafji wurde evakuiert, nachdem die Iraker die Stadt unter heftigen Artilleriebeschuß genommen hatten. Mehrere Öltanks wurden getroffen.

Daß der Irak nicht einmal versuchte, in größerem Stil zurückzuschlagen, löste in amerikanischen Militärkreisen Verwirrung aus. Es wurde spekuliert, möglicherweise behalte sich Saddam Hussein spätere Überraschungsschläge vor. „Die irakische Luftwaffe ist noch da“, sagte Generalstabschef Powell. „Wir werden sie und ihre Flugplätze weiter bearbeiten.“

Irak: „Wir haben 14 Flugzeuge abgeschossen“

Nach eigener Darstellung schoß der Irak insgesamt 14 Flugzeuge der Angreifer ab. Das Pentagon nannte am frühen Morgen diese Behauptung „unsinnig“. Bis zum Nachmittag bestätigte es lediglich den Verlust eines einzigen Flugzeuges vom Typ F/A-18. Der demokratische Senator Sam Nunn hatte zuvor vom zusätzlichen Verlust eines F-15-Flugzeuges gesprochen. Auch die iranische Nachrichtenagentur 'Irna‘ hatte gemeldet, ein F-15-Flugzeug sei in den Persischen Golf gestürzt. Nach Darstellung des Fernsehsenders CNN ist in Washington inoffiziell von etwa sechs verlorenen US-Flugzeugen die Rede. Auch das britische Verteidigungsministerium bestätigte am Mittag den Verlust eines Tornado-Bombers.

Präsident Saddam Hussein inspizierte am Nachmittag seine bombardierte Hauptstadt und zeigte sich danach im Fernsehen. In einer kurzen Rede sprach er davon, daß der Irak den Kampf gewinnen werde. „Der Sieg ist groß. Die uns angegriffen haben, werden verlieren“, sagte er.

Wie hoch die Schäden in Bagdad tatsächlich sind, ist nicht klar. Amerikanische Journalisten und das Pentagon berichteten, der „chirurgische Schlag“ gegen den Irak habe Zivilisten verschont, Bagdad sei „keine Ruinenstadt“. Saudische Stellen dagegen sagten, es habe einige „Irrtümer“ gegeben, wie beispielsweise die Zerstörung einer Raffinerie außerhalb der Stadt. Ein CNN-Reporter berichtete, in der Nähe der US- Botschaft am Tigris gebe es schwere Verwüstungen. In der Stadt waren Strom und Wasser zwar ausgefallen, doch blieben Geschäfte geöffnet.

Unter dem Eindruck der „Operation Wüstensturm“ haben Italien und die Niederlande beschlossen, sich direkt an militärischen Operationen gegen Irak zu beteiligen. Der Nationale Sicherheitsrat der Türkei forderte die Regierung auf, Vorkehrungen für eine türkische Beteiligung am Golfkrieg zu treffen. Dies soll Einsätze der in der Türkei stationierten US-Flugzeuge einschließen. Die kurdische Guerillaorganisation PKK kündigte an, in einem solchen Fall auf der Seite Iraks zu kämpfen.

Die deutsche Luftwaffeneinheit auf dem türkischen Flughafen Erhac hat nach Angaben des stellvertretenden Staffelkommandeurs der 18 Alpha-Jets „keine besonderen Maßnahmen“ ergriffen. Die Lage dort sei ruhig. D.J.

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