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Hinter dem Tunnel, wo der Wind pustet

■ Pusdorf: Exkursion in einen vergessenen Stadtteil/Vom Tante-Emma-Laden zur Videopiste

„Hinter dem Tunnel, wo der Wind pustet“ beginnt der Bremer Stadtteil „Pusdorf“. „Bremer“ sind die BewohnerInnen der Enklave links der Weser jedoch erst in zweiter Linie: vor allem sind sie „Pusdorfer“, die aus Woltmershausen und dem angrenzenden Rablinghausen. Seitlich begrenzt von der Weser auf der einen und der Senator-Apelt-Straße auf der anderen Seite, von der Neustadt geschieden durch die Eisenbahnlinie, hat Pusdorf bis heute noch viel von seiner bieder- anheimelnden Mischung aus Arbeiterwohnort und Dorf bewahrt.

Brüchige Idylle

Meine Entdeckungstour beginnt entlang der Woltmershauser Straße, die sich vom Eisenbahntunnel durch den gesamten Stadtteil erstreckt und als Rablinghauser Straße kurz vor seiner äußersten Spitze, dem Lankenauer Höft zwischen Weser und Neustädter Hafen, endet. Um die Mittagszeit wenig Verkehr. Viele kleine Läden. Es gibt Szenarien, da scheint die Zeit vor zwanzig Jahren stehengeblieben zu sein. Ein Fernsehladen mit Uraltmodellen. Die einzige Schaufensterdekoration besteht aus einer vergilbten Tüllgardine. Nicht weit davon ein Schuhgeschäft. Auch hier keine Spur von Design oder Lifestyle, solides, gefüttertes Winterschuhwerk, auch bei den Preisen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Alle Treter kosten zwischen 20 und 60 Mark. Ein Imbiß heißt „Pusdorfer Pfanne“, ein Gemüsegeschäft abseits der Hauptstraße „Pusdorfer Fruchthalle“. Jedes dritte Haus ist eine Kneipe.

Die Seitenstraßen, die links von der Woltmerhauser abgehen, weisen ordentlich aufgereihte, zweigeschössige Wohnhäuser auf, mit sauber abgeklinkerten Fassaden. Gelegentlich hält sich noch ein altes Stück mit Stuckfassade, den Bürgerhäusern nachempfunden; das wirkt wie vorne „Carmen“ mit hinten „Meyer“. Rechts von der Woltmershauser Straße führt ein gepflasterter Weg einen Deich hinauf. Oben sind zwei alte Männer mit Hund in ein Gespräch vertieft. Dahinter muß die Weser sein! Erwartungsvoll steige ich hinauf, aber mein Blick prallt ab von den abweisenden Rückseiten etlicher Lagerhallen. Von plätschernden Weserwellen keine Spur. Ein Pusdorfer Schlüs

Pusdorfer LifestyleAlle Fotos: Jörg Oberheide

selerlebnis, denke ich. Denn die Idylle ist an vielen Stellen brüchig. Graue Häuser, bröckelnde Fassaden, zahlreiche kleine Läden schon aufgegeben, Spinnweben in den Fenstern, halb aufgelöste Werbeplakate.

In das Vakuum, das da entsteht, platzt klotzig die neue Zeit: „Videopiste“, „Video-Aktuell“, „Spielzentrum“ und „„Monte Carlo“ machen sich mit ihren aufdringlichen Fassaden breit. „Ein sichtbares Zeichen, daß dieser Stadtteil krank ist“, erzählt mir später Geerd Weber vom „Kulturladen Pusdorf“.

Wo die Woltmershauser Straße in die Rablinghauser Landstraße übergeht, ist die Welt noch heil. Schmucke Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten, ein kindsgroßer Gartenzwerg, Butzenfenster, Glasbausteine. Über Geschmack soll man nicht streiten. Wohnen läßt es sich hier sicher gut, entlang der kleinen Straßen ohne Durchgangsverkehr. 1935 hoben die Nazis hier eine Mustersiedlung aus der Taufe. Siedlungswillige erhielten ein Darle

hier bitte das

Foto mit den Fernsehern

hen aus Reichmitteln, der Rest war Eigenarbeit. Zu jedem Haus gehörten 1.000 Quadratmeter Gartenland und ein Stall für Kleinvieh. Manch einer wurde inzwischen zur Garage umfunktioniert.

„In Lankenau...

Dritte „Perle“ an der Straßenkette entlang der Weser war Lankenau. Bis Ende der 50er Jahre. Dann wurde Lankenau für den Bau des Neustädter Hafens „plattgemacht“. Als der legendäre Bürgermeister Wilhelm Kaisen den ersten Spatenstich für den Hafen machte, wehte ihm von den Pusdorfern ein kalter Wind entgegen. Mit Lankenau verschwand nicht nur ein ganzes Dorf, sondern auch ein Kernstück Pusdorfer Kultur.

...da ist der Himmel blau“

„In Lankenau, da ist der Himmel blau, da tanzt der Ziegenbock mit seiner Frau“, reimte Pusdorfer Kindermund noch in der Nachkriegszeit. Wohnen, Arbeiten, Freizeit: das hing in Pusdorf ganz wesentlich mit der Weser zusammen. Man wohnte in dörflicher Umgebung in Woltmershausen oder Rablinghausen, setzte mit den Ruderboot oder mit der Fähre zur Arbeit bei „Atlas“ oder der „AG-Weser“ über den Fluß und verbrachte, zumindestens im Sommer, die Freizeit am Weserstrand mit Baden, Fußballspielen und Segeln. Unendliche Möglichkeiten zur Erholung und Kommunikation. Aber schon vor dem ersten Weltkrieg gab der Bremer Senat große Teile des Weserstrandes als Lagerstätte für Holzhandlungen und Sägewerke frei. 1912 empörte sich der Woltmershauser Bürgerverein über diesen „Eingriff in die natürlichen Rechte mehrerer Stadtteile, deren Bevölkerung dadurch die Gelegenheit genommen wird, das für die Gesundheit zu tun, was bei der heutigen hastenden und nervenerregenden Zeit unbedingt erforderlich ist. Während andere Städte darauf bedacht sind, Spiel- und Badeplätze für das Volk, das sich eine teure Badereise nicht erlauben kann, zu reservieren oder für teures Geld zu schaffen, soll für Bremen die billige Möglichkeit versäumt werden, solche zu erhalten.“

Mit dem Neustädter Hafen verschwand auch der letzte Badestrand, das „Lankenauer Familienbad“, zu einer für uns prähistorischen Zeit, als Baden in der We

ser noch denkbar war. Als Ausgleich wurde den Pusdorfern ein Schwimmbad versprochen, auf das sie heute noch warten. Bekommen haben sie 1973 als Trostpflaster den Weseruferpark, ein hügelig angelegtes Rasengelände mit Weserpromenade bis zum Ausflugslokal „Lankenauer Höft“, das ich an diesem frostklaren Januartag, an dem der Wind tüchtig pustet, aber nicht erreiche, da meine Füße schon auf halber Strecke gefühllos sind. Inzwischen haben die Pusdorfer dies künstlich geschaffene Stück Naherholung angenommen. Sonntags tummeln sich hier schon traditionell Kinder und Erwachsene mit Lenkdrachen. Es gibt eine große Sportanlage und Kunst im öffentlichen Raum, die allerdings Anstoß erregt. „Schrottkiste“ nennt der Volksmund das eisenverwitterte „Lankenau-Monument“, das an zentraler Stelle des Parks aufragt, zum Gedenken an den geschleiften Ort.

Bedrohte Schrebergartenidylle

Die Weser haben die Pusdorfer verloren, geblieben ist ihnen das zweite Kernstück ihrer Identität: der Schrebergarten. Überall wird die Bebauung durchbrochen von abgezirkeltem Grün mit kleinen Hüttchen. Aber auch hier frißt die Industrie immer mehr Flächen. Durch den Bau des Güterverteilungszentrums (GVZ) mit der Anbindung über die Senator- Apelt-Straße ist Pusdorf prak

tisch abgeschnitten von den Grünflächen im Westen. Mit der Ausweisung des Niederviehlandes als Industriegebiet droht auch die letzte Verbindung ins Grüne über die Stromer Straße zu verschwinden. Immer mehr LKW-Verkehr wältzt sich durch den Stadtteil. Das ruft die ansonsten sehr duldsamen Pusdorferinnen auf den Plan. Die Bürgerinitiative „Pusdorf darf kein Getto werden“ fordert einen Ansiedlungsstop für das Gewerbegebiet am GTZ bis eine andere Verkehrsanbindung gesichert ist.

Neubürger nur mit „flankierenden Maßnahmen“

Entstanden ist die BI als der Senat im letzten Herbst 1.000 Aus- und ÜbersiedlerInnen in den 14.000 EinwohnerInnen zählenden Stadtteil schicken wollte. Man sei nicht ausländerfeindlich, versicherte die BI. Aber man könne die Menschen nicht en Block, ohne flankierende Maßnahmen im sozialen und kulturellen Bereich, in den Stadtteil stopfen. Gettobildung sei so unvermeidlich.

Schon immer haben die Bremer nach Meinung der Pusdorfer alles zu ihnen abgeschoben, was sie nicht haben wollten. Zum Beispiel die BewohnerInnen der Böttcherstraße, als Roselius die altbremer Gasse anfang des zwanziger Jahre künstlerisch umbauen ließ. Oder den Lagerplatz für die Sinti. Oder das Gaswerk, das ursprünglich an der Bürgerweide lag. Dem großbürgerlichen Parkviertel wollte man das stinkende und explosionsgefährdete Gaswerk nicht mehr zumuten und verlegte es 1901 nach Woltmershausen. Der rot-weiße Turm des Gasometers wurde bis zu seinem Anriß 1984 zum Wahrzeichen des Stadtteils.

Kulturprofil: ländlich-sittlich

Letzte Station meiner Pusdorf- Erkundung ist der „Kulturladen- Pusdorf“ Ecke Auf dem Bohnenkamp und Huchtinger Straße. „Kultur“ das war in Pusdorf bisher der TSW (Turn- und Sportverein Woltmershausen), das waren die Schrebergärtenvereine, die Seniorennachmittage der AWO, der Spielmannszug, einige Chöre und Freizeitaktivitäten der Kirchen.

Es gibt kein Kino, kein Theater, kein Bürgerhaus. Es gab nicht einmal den Ruf nach einem Kulturladen, der wurde von außen, vom Senator für BiWiKu, 1982 in den Stadtteil, der sich selbst den „vergessenen“ nennt, hineingesetzt. Inzwischen sind die beiden bescheidenen Räume ausgebucht. Joga- und Frauengruppe, Seidenmalen, Töpfern, kleine Ausstelungen, Diavorträge, Treffen der Bürgerinitiative.

Wichtige vertrauenbildende Maßnahme war seit Beginn die Geschichtsgruppe. Auch alteingesessene Pusdorfer erklärten sich bereit, gemeinsam mit ABM- Kraft Geerd Weber die Geschichte des Stadtteils aufzuarbeiten. Mehrere Broschüren und Vorträge sowie regelmäßige Beiträge zum „Pusdorfer Blatt“, das der Kulturladen vierteljährlich herausgibt, sind dabei entstanden. Die Älteren scheinen jedoch mit ihrer kulturellen Infrastruktur von Vereinen und Kneipen recht zufrieden. Probleme haben dagegen die Jugendlichen. Für sie hat der Kulturladen in Pusdorfs einziger „Szenekneipe“, dem „Weserstrand“ auf dem Westerdeich, wenigstens erstmal ein sonntägliches Kinoprogramm etabliert. Zu den aktivsten Gruppen im Stadtteil gehört nach Auskunft von Kulturladen-Mitarbeiter Ludger Fischer die „Interessen- und Werbegemeinschaft Woltmershausen und Rablinghausen“.

Den darin zusammengeschlossenen Kaufleuten und Gewerbetreibenden sei klar, daß etwas geschehen müsse, um den Stadtteil nicht verkommen zu lassen. „Pusdorf wird durch Industrie von allen Seiten dicht gemacht. Hier drinnen häufen sich Problemgruppen wie Arbeitslose und Ausländer. wenn nicht mehr getan wird, um das zu kompensieren, geht der Stadtteil kaputt“, befürchtet Weber. Annemarie Struß-v.Poellnitz

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