piwik no script img

Liebe Fahrgäste, es ist Krieg

■ Bahnen und Busse der BSAG standen 15 Gedenkminuten lang still / Fahrgäste zeigten ihre Gesinnung

Gestern, 11.55 Uhr in der Straßenbahn-Linie 10 auf dem Weg zum Bahnhof. Plötzlich steckt die Bahn zwischen Sielwall und Humboldt-Straße zwischen Autos fest. Demonstranten blockieren die Kreuzung Humboldtstraße/Am Dobben. Aber das macht nichts. Die Bahn würde ohnehin nicht weiterfahren. Ganz Bremen steht still.

Über die Funksprechanlage der Straßenbahn ist aus der Ferne ein Kollege der Fahrerin zu hören: „Ich stehe jetzt hier in Huckelriede Richtung Arsten und bleibe hier stehen.“

Auch die Fahrerin der Linie 10 öffnet die Türen und spricht ins Mikrophon: „Wir machen jetzt hier 15 Gedenkminuten gegen den Golfkrieg. Bitte haben sie für die Verspätung Verständnis.“ Die Straßenbahn leert sich, nur einige Ältere bleiben sitzen. Eilige bahnen sich den Weg nach draußen mit den Ellenbogen. „Ich finde das richtig“, sagt die Straßenbahnfahrerin, „was ist diese kurze Verspätung schon gegen das Leid der Menschen am Golf“.

In der Linie 2 Vor dem Steintor/Ecke Sielwall ist der Bär los: „So ein Scheiß!“ „So was Nerviges!“ „Als wenn das was nützen würde!“ fluchen Fahrgäste und: „Wer stundenlang gearbeitet hat, will nicht warten.“ „Ja“, findet ein Alter und deutet auf den händehaltenden Kreis von DemonstrantInnen, die die Sielwallkreuzung blockieren, „die wissen gar nicht, was Arbeit ist“.

Andere Fahrgäste bleiben sitzen und schweigen. Die Straßenbahnfahrerin zu den meckernden Fahrgästen: „Ich mache es, weil wir die Anweisung haben. Ich kann gar nicht anders. Aber ich finde es in Ordnung.“ Ein junge Frau, die in der Bahn sitzt, sagt leise: „Auch wenn es keine direkte Wirkung hat: Das ist das Mindeste, was wir den Leuten, die jetzt unter dem Krieg leiden, schuldig sind.“ Eine Gruppe von alten Frauen fängt an über den „schrecklichen Krieg“ zu diskutieren, und daß das Volk wieder einmal nicht gefragt wurde. "Wir hätten früher was tun müssen", sagt eine, "gegen die Waffenlieferungen".

Am Donnerstag, so Jürgen Lemmermann von der Presseabteilung der BSAG, hatte der Betriebsrat sofort entschieden, sich dem Aufruf des DGB anzuschließen. Er stimmte die Aktion mit der Betriebseitung ab und verteilte gestern nachmittag ein Merkblatt an die FahrerInnen, auf dem geschreiben stand, was sie den Fahrgästen sagen sollen: Sehr geehrte Fahrgäste, der Golfkreig hat begonnen. Wie in jedem Krieg werden die Unbeteiligten und Unschuldigen die größten Opfer tragen müssen. Wir bitte Sie deshalb, mit uns 15 Gedenkminuten einzuhalten, um damit den Widerstand der Bevölkerung gegen diesen krieg deutlich zu machen...

Die Fahrerinnen der BSAG hatten „die Aktion gut verstanden“, so Jürgen Lemmermann, „wenn, dann soll man–s gemeinsam machen. Außerdem stauen sich sonst Bahne und Busse. Es geht um Solidarität. Wenn man da noch lange diskutiert, braucht man–s gar nicht zu machen.“

Ein Fahrer der Buslinie 70 in Vegesack erklärt auf Nachfrage: „Wenn das nicht eine Anweisung der Betriebsleitung wäre, würde das kaum einer mitmachen.“ Wenn er sich da mal nicht täuscht. Und kopfschüttelnd: „Da leiden doch nur die Fahrgäste drunter.“ Die, die dagegen sind, so klärte eine kleine Umfrage, schreien nur lauter. Denn die meisten Fahrgäste fanden, daß die 15 Gedenkminuten in der ganzen Stadt eine sinnvolle Aktion waren und waren beeindruckt, wie gut das geklappt hat. bear

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen