: ARADIES HINTER STACHELDRAHT
Die Idee ist erst 30 Jahre alt, aber schon ein Klassiker: Urlaub unter südlicher Sonne, aber sicher, im kontrollierten Bezirk. Gezähmte Exotik ist leichter zu verwalten, prima zu kalkulieren, und die Nebengeschäfte werden selbstverständ-
lich gleich mit abkassiert. Jedes Jahr folgen gut 200.000 deutsche Männer, Frauen und Kinder den Verlockungen der großen Farbanzeigen in die Ferienclubs.
VONREGINALDBRUHN
Der Morgen am Meer ist wieder so hell und klar, wie es sich gehört. Es ist kurz nach sechs. Im Aldiana Clubdorf an der türkischen Südküste hastet der erste zum Pool, um die Liegestühle mit Handtüchern zu besetzen.
Die Fensterläden der hellen Schlafhäuser sind alle noch geschlossen, der Strand liegt weiß und jetzt nicht mehr ganz so weit, weil jetzt sogar hier schon gebaut wird. Es ist ein Kreuz mit dem Massentourismus.
Hinter dem Zwei-Meter-Drahtzaun, der das Terrain nach allen Seiten sichert, kräuseln sich erste Feuerwölkchen empor. Die türkischen Familien, die dort ein einfaches Lager aufgeschlagen haben, kochen Morgentee. Der Frühaufsteher schlendert langsam ins Haus zurück. Clubtage beginnen später.
Ferienclubs verkaufen sich nicht nur als Paradiesersatz, sie sind seine industrielle Verwirklichung. Bis auf die Sonnenplatzreservierung ist alles vorbereitet, vorgefertigt und festgelegt. Die „Annehmlichkeiten“ des Südens auskosten, aber bitte ohne Lärm, ohne Chaos oder gar arme Menschen — die bleiben hinter dem Zaun.
Drinnen ist das Freß- und Trinkangebot jeden Tag überwältigend, und „rücksichtsvoll“ von allzu Landestypischem befreit. Das Unterhaltungsprogramm der Kinder-, Sport- und ganz normalen Animateure ist breit gefächert, aber dafür, Gott sei Dank, auch freiwillig. Darum nur sieben Surfschüler bei Aldiana, vier Paare beim Tanzkurs vom Robinson Club und nur zwei Unverdrossene beim Frühsport im Club Méditerrané. Nur der sanfte Mitmachdruck ist allgegenwärtig.
„Der Deutsche will immer angeleitet werden“, sagt einer der Clubchefs zu der Schlaffheit, gegen die seine Animateure täglich anzuarbeiten haben. Und Unterhalter Fred bekommt glänzende Augen, wenn er von den „zwei schönsten Stunden der Woche“ erzählt, denen von der Abfahrt der alten Gäste bis zur Ankunft der neuen.
Sie arbeiten in allen Clubs hart, unterbezahlt und jenseits jeden Tarifrechts, an der guten Laune der Gäste. Allround-Einsatz mit ewigem Clublächeln, das ein ganz besonderes ist. Es läßt die Augen in Ruhe. Nur die sonnengebräunte Haut produziert schmale, harte Falten an den Wangen. Es wirkt so eingebrannt, als sei es fest gebucht.
Weit nach Mitternacht in Portugal. Der Pool im „Club Méd“ liegt glatt und schwarz. Es ist klamm, und vom Atlantik weht ein kühler Wind. Zu leiser Musik löst sich ein knappes Dutzend Gestalten in dicken Pullovern aus dem Schatten. Jetzt, wo die Gäste schlafen, fällt das tägliche Dauerlächeln flach. Die Mundwinkel werden morgen wieder genug Mühe damit haben. Immer die gleichen Bewegungen, ein nächtliches Ballett. Die eine Szene sitzt einfach noch nicht richtig. Und in drei Tagen muß die neue Show aufgeführt werden. Dann im Licht, vor den Gästen und natürlich mit dem alten Lächeln auf dem Gesicht.
Es liegt nicht an den Animateuren, die auch gar nicht härter schuften könnten. Der Fehler scheint im System zu stecken: Trotz allen Erfolgs funktioniert das Urlaubsparadies hinter Stacheldraht nicht so richtig.
Alle sind gekommen, um entspannt und fröhlich zu sein, um sich die Sonne auf den Pelz scheinen und sich nur verwöhnen zu lassen. Aber davon werden sie auch nicht glücklicher — zumindest sieht man es ihnen nicht an. Da hilft es auch nicht, wenn jährlich ein netter Popsong zum Clublied erkoren wird, das dann immer und immer wieder aus den Lautsprechern tönt.
Und auch wenn Animateure und die willigen Kindergäste jedes Mal von neuem eine spontane Tanzeinlage dazu präsentieren, es bleibt dabei: Zu reichhaltiges Essen bewirkt Sodbrennen, heftiges Trinken einen Kater, und Surfenlernen geht auch im Ferienclub nicht von jetzt auf sofort.
Das Ergebnis: noch mehr Völlerei und noch mehr Nörgelei. Mal sind die Brötchen nicht deutsch oder auch nicht französisch genug. Und das Unterhaltungsprogramm verliert trotz aller Mühe den ungerechten Vergleich mit der perfekten Illusion aus der Glotze.
Zu schnell merkt man gegenseitig, daß die Nachbarn am Achtertisch auch nicht anders oder gar interessanter sind als die Nachbarn zu Hause. Das Schlaraffenland ist so sicher und wohlorganisiert, daß trotz aller hektischen Betriebsamkeit ständig Langeweile droht. Aber eine „Reise ins Unbekannte“ wurde ja auch nicht versprochen.
Vor der Bar im Robinson Club bringen bunte Drinks und große Stücke Torte Farbtupfer auf die Tische. Es schmeckt allen. „Wo Deutsche sind, ist Deutschland“, meint Brigitte aus dem Süden der Republik völlig unvermittelt.
Nur rein geographisch liegt Brigittes Robinson Club an der Südspitze von Italien.
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