: Die Türkei, die Nato und der Krieg
■ Ministerpräsident Özal unterstützt trotz innenpolitischen Gegenwinds die US-Strategie
Kriegsstrategisch gedacht, ist es schwer zu beurteilen, ob die Türkei als amerikanische Flugzeugbasis tatsächlich notwendig ist oder nicht. Die politischen Konsequenzen, die sich aus der nun begonnenen Nutzung türkischer Flugplätze für Angriffe auf den Irak ergeben, werden die Türken mehr betreffen, als der überwältigenden Mehrheit lieb ist. Mit diesen Bombenangriffen droht die Gefahr, daß das Nato-Land Türkei und damit die Nato unmittelbar in den Konflikt gezwungen wird — mit entsprechenden Konsequenzen für die Bundesrepublik.
In der türkischen Öffentlichkeit hat die Haltung von Regierungschef Özal, der sich unmittelbar nach dem Einmarsch der irakischen Truppen in Kuwait eindeutig auf die Seite der Vereinigten Staaten stellte, zu heftigen Kontroversen geführt, die überraschende politische Konstellationen mit sich brachten. Der Pro-Kriegs-Kurs Özals wurde nicht zuletzt von der eher westlich ausgerichteten Armeeführung scharf kritisiert und führte zum Rücktritt des Generalstabschefs vor vier Wochen. Fast alle politisch relevanten Organisationen haben sich gegen den Özal-Kurs ausgesprochen, in der Regierungspartei knirscht und grummelt es. Es fragt sich, weshalb Özal sich auf Gedeih und Verderb einer amerikanischen Strategie auslieferte, die er nicht beeinflussen kann und die ihn innenpolitisch weiter isoliert. Viel mag dafür sprechen, daß sich Özal um der eigenen Machterhaltung willen rechtzeitig auf die Seite des Siegers schlagen will. Plausibler, wenn auch verwegener erscheint aber die Vermutung, daß der angeschlagene türkische Premier mit seinem Kurs selbst imperiale Ziele verfolgt. Özal hat das vehement bestritten. Und genau dieses Dementi fördert den Verdacht. Tatsache ist: Die Türkei bekam auf der Konferenz von Lausanne 1924 den Mossul, also den nördlichen Teil des Iraks, in dem die meisten Erdölfelder des Landes liegen und in dem neben der kurdischen Mehrheit auch türkische Minderheiten leben, zugesprochen — ein Umstand, der in nationalistischen türkischen Kreisen nicht vergessen ist. Hinzu kommen die Spannungen wegen des Wassers von Euphrat und Tigris.
Noch ist über eine „Neuordnung“ nach dem Krieg von keiner Seite öffentlich gesprochen worden. Die US-amerikanische Politik ist zwar nicht unbedingt dafür bekannt, auf die komplizierten innenpolitischen Konstellationen oder außenpolitischen Perspektiven auch verbündeter Länder Rücksicht zu nehmen, aber die Bereitwilligkeit Özals gegenüber den amerikanischen Wünschen deutet auf mehr als nur den Machterhalt: Vielleicht träumt noch jemand wie der Herrscher im Irak davon, als „Führer“ einer großen „Ordnungsmacht“ in die Geschichte einzugehen — mit dem Segen der Nato. Erich Rathfelder
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