: „Dieser Krieg wird die Nahost-Frage verkomplizieren“
■ Die israelische Anwältin Felicia Langer anläßlich der Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises in Wien über die Folgen des Krieges für die Palästinenser INTERVIEW
taz: Frau Langer, was halten Sie von der Entwicklung in der Golfregion?
Felicia Langer: Für mich ist das eine Katastrophe, eine Tragödie. Ich verstehe nicht, warum man überhaupt dieses Ultimatum gestellt hat. Ich glaube, dieser Krieg hat nur begonnen, weil die „Boys“ Angst vor der Wüste hatten und es schnell hinter sich bringen wollten. Ich meinerseits habe Angst vor den furchtbaren Folgen für alle Länder im Nahen Osten.
Natürlich ist Saddam Hussein ein blutiger Verbrecher. Aber man kann nicht ein Verbrechen heilen, indem man andere, größere Verbrechen verübt. Das kann nicht gutgehen, weder für uns Israelis noch für die anderen Völker. Ich habe Angst um meine Freunde in Israel, aber auch um alle Menschen in den besetzten Gebieten.
Welchen Einfluß kann dieser Krieg auf die weiteren Entwicklungen in der Region haben?
Natürlich können diese Ereignisse eine Katalysatorfunktion haben. Doch ich befürchte, daß der Haß, die Opfer, so viele Tränen, so viele Ruinen mögliche Lösungsmöglichkeiten des Nahost-Konflikts verkomplizieren. Saddams Tun ist nicht zu rechtfertigen; er hat Kuwait nicht wegen der Palästinenser annektiert. Nach dem Pariser Gipfel über die Möglichkeiten einer Nahost-Konferenz hatte ich geglaubt, daß der Krieg kein Mittel mehr zur Lösung politischer Probleme sei. Aber offensichtlich gilt dieses Prinzip nicht, wenn es um die Araber geht.
Halten Sie jetzt, gerade nachdem die israe- lische Regierung ihren festen Willen bekundet hat, auf die nächtlichen Angriffe auf Israel entsprechend zu antworten, eine Radikalisierung der Palästinenser für möglich?
Ich bin natürlich keine Vertreterin der Palästinenser. Ich habe sie nur verteidigt. Aber ich weiß, daß sie nicht für den Krieg, sondern für den Frieden optiert haben — unter gleichzeitiger Einbeziehung der Palästinafrage. Sie haben in den drei Jahren ihres Aufstandes in den von Israel besetzten Gebieten eine eindeutige Botschaft übermittelt: zwei Staaten für zwei Völker. Aber wir haben alles total abgelehnt, immer im Glauben, die Zeit arbeite für uns. Und die Palästinenser sind frustriert, sie fühlen sich verlassen und vergessen. In ihren Augen mißt die internationale Gemeinschaft mit zweierlei Maß.
Die Palästinenser leben seit dreiundzwanzig Jahren unter israelischer Besatzung, die UNO- Resolutionen werden ignoriert, und die Welt schweigt. Für Israel gab es kein Ultimatum und keine Sanktionen. Vor diesem Hintergrund müssen wir Saddam Husseins Arroganz betrachten.
Er hat vom israelischen Premier Jizchak Schamir gelernt. Und wenn nun manche sagen, Saddam Hussein sei ein Held, so ist das verständlich. Es ist einfach falsch, nur die momentane Situation zu analysieren. Eine gründliche Analyse muß mindestens bis ins Jahr 1967 zurückgehen.
Interview: Kostas Argiros
Felicia Langer wurde für ihre jahrelange couragierte Verteidigung von Palästinensern 1990 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
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