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Revolte der Kids

■ Liebeserklärung an die demonstrierenden SchülerInnen in beiden Deutschlands

Selbstverständlich befindet sich die Friedensbewegung in Deutschland nicht in einem kritiklosen Raum. Doch ist es ärgerlich, mitansehen und mitanhören zu müssen, auf welche Weise diejenigen in den Massenmedien kritisiert werden, die gegen den Krieg demonstrieren. Wenn nach allen Nachrichtensendungen Expertenrunden sich bemühen, das Argument „Blut gegen Öl“ zu entkräften, zielen ihre Argumente nicht nur darauf, ein differenziertes Bild der Vorgänge im Nahen Osten zu entwerfen, sondern richten sich auch gegen die SchülerInnen, die sich herausnehmen, ihre Ängste, Befürchtungen und ihre Kritik, diejenige an der deutschen Beteiligung an der Giftgasaufrüstung des Irak eingeschlossen, auf die Straße zu tragen. Völlig absurd ist es, dem Gros der DemonstrantInnen, die täglich zu Zehntausenden auf die Straße gehen, Sympathie für die irakische Position zu unterstellen, weil sie nicht schon beim Überfall des Irak auf Kuwait auf die Straße gegangen sind. Was haben denn damals die Meinungsmacher gemacht?

Was jetzt stattfindet, ist eine Revolte der Kids, die sich einen Dreck um die alten Ideologien — auch die der alten Friedensbewegung — scheren. Ihren Protest gegen den Krieg schöpfen sie vielmehr aus der Angst, in eine Welt geboren zu sein, die fast unausweichlich auf Katastrophen zusteuert, die zu verhindern es der gemeinsamen Anstrengung aller Menschen, Nationen und Regierungen bedürfte. In dem Protest gegen den Krieg bündelt sich die Angst einer Generation, die schon jetzt spürt, daß sie die Altlasten der Industriegesellschaft, die Klimaveränderungen, den Atommüll, den Autowahn, alles Altlasten, die sie nicht zu verantworten hat, auf sich nehmen muß. Die Frage nach der eigenen Zukunft, die Frage nach den Bedingungen des eigenen Lebens verleihen dem Protest eine Dimension, die über die Tagesaktualität, auch die des Krieges, hinausweist.

Sicherlich, diese Haltung, von den Politprofis als hilflos charakterisiert, beantwortet keine der aktuellen Fragen, die über den Gang des Krieges aufgeworfen sind. Die Protestbewegung der Kids wird auch in den nächsten Wochen nicht in der Lage sein, die Frage, wie dieser Krieg unter welchen Bedingungen zu beenden ist, zu beantworten. Aber wer wollte denn das ernsthaft von den Protestierenden erwarten, wenn alle anderen daran scheitern? Die Spontaneität dieser Bewegung und die Bereitschaft der Kids in Ost und West, für den Frieden im Interesse der eigenen Zukunft einzutreten, könnte umgekehrt eine Lehre für die Erwachsenen sein. Die bleiche Mutter Deutschland jedenfalls hat angesichts dieser Jugend etwas an Farbe gewonnen. Erich Rathfelder

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