piwik no script img

Schulterschluß lädt Schuld auf sich-betr.: "Für die CDU ist der Angriff auf den Irak ein voller Erfolg", taz vom 18.1.91

betr.: „Für die CDU ist der Angriff auf den Irak ein voller Erfolg“ (Bundestagsdebatte über den Golfkrieg), taz vom 18.1.91

Vor dem deutschen Bundestag beteuerten heute betagte Koalitionspolitiker, daß sie den Horror des Krieges aus persönlicher Erfahrung kennen. Alle betonten, daß Krieg stets auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen wird. Viele erkennen die Schuld, die die deutsche High- Tech-Industrie durch Hochrüstung des Irak auf sich geladen hat und damit die deutsche Verflechtung mit Iraks Aggression.

Und gleichzeitig pochen sie auf die gerechte Sache. Gleichzeitig rechtfertigen sie das Ende jeder diplomatischen Geduld. Damit blenden sie in diesem Augenblick die zuvor beschworenen Kriegsgreuel Massensterben, Flüchtlingselend, Ökokatastrophe grandios aus ihrem Sichtwinkel aus. Es ist mit Händen zu greifen, daß entgegen aller Beteuerungen in den meisten Köpfen sich die Logik des Krieges etabliert hat, die Zivilbevölkerung höchstens Hindernis in der Schußlinie ist.

Gregor Gysi hat diese Scheinheiligkeiten im Bundestag heute gewagt anzusprechen. Der Aufruhr, den das quer durch die Fraktionen hervorgerufen hat, läßt vermuten, daß er zumindest teilweise recht hat. Für mich ist Gysi in dieser Debatte der einzige gewesen, der sich zur bewußten und formulierten Erkenntnis durchringt: Schmutzig ist die Ideologie, durch Krieg Frieden schaffen zu wollen. Dafür erntet Gysi den Ruf des Nestbeschmutzers, wie vor ihm schon so viele Künder des Unrechts in Deutschland.

Ich bin dankbar, daß es in dieser Situation Politiker gibt, die den Schulterschluß der Fraktionen anders als Alfred Dregger nicht als allererste demokratische Pflicht sehen. Dieser Schulterschluß hinter der Logik des Krieges lädt Schuld auf sich, die damit gleichzeitig verdrängt werden soll. Matthias Klammer, West-Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen