: »Prädikat: Besonders gewaltfrei«
■ Aufruf: Menschenkette gegen die alltägliche Gewalt — von der taz zum Axel-Springer-Haus DOKUMENTATION
Wie bereits berichtet, versuchten am Montag nachmittag 50 bis 100 Leute, eine Menschenkette zwischen der taz und dem Springer-Hochhaus zu bilden, um damit gegen die Art der Berichterstattung über die mit Randale verbundene Demonstration am Abend des 17. Januar sowie gegen die Parteinahme des taz-Kommentators Klaus Hartung für die Allianz zu protestieren. Mit der Aktion wurde einem Aufruf gefolgt, dessen Wortlaut wir der Leserin nicht vorenthalten wollen. In Zeiten einer zunehmenden Elastizität des Bedeutungsgehalts von Begriffen und Symbolen scheint uns dieser ironische Gegenschlag ein kulturelles Dokument ersten Ranges. Vorweg noch die Gegenstimme eines taz-Lesers: »Ich habe [auf der Demonstration] mehr Gewalt gesehen, als ich ertragen kann. [...] Diese Demonstration ist die Fortsetzung des Golfkriegs nicht mit anderen, sondern mit gleichen Mitteln.« (taz, 23.1.91)
»Wer am Donnerstag abend mit Hingabe und Hämmern Auto- und Kaufhausscheiben zertrümmerte, hat nur eins eindrucksvoll bewiesen: daß sein moralischer Horizont sich ungefähr auf dem Level jener Politiker in Washington, London oder Bonn eingependelt hat, die seit Kriegsausbruch von Betroffenheit faseln...« (taz, 19.1.)
Ist das nun nur großer Schwachsinn oder nicht auch Gewalt?
»Das ist doch Krieg in Berlin« (gleiche Ausgabe, Bericht über die Demo).
Genau! Dieses Meinungsmachermonopol der etablierten Medien ist alltäglicher Terror, diese gewalttätige Sprache der Ausgrenzung, diese brutalen Angriffe auf unsere Subjektivität, ja auf die Freiheit unserer Ausdrucksformen des Protestes. Aber: Gegen Gewalt kann mensch natürlich glaubwürdig nur gewaltfrei demonstrieren.
Steine gegen Raketen? Wirklich lächerlich. Kaputte Scheiben von Luxuskaufhäusern sind doch wirklich viel schlimmer als bombardierte Städte. Und natürlich sind wir nicht wütend auf die taz, sondern tief betroffen. Deshalb wollen wir mahnen. Für den Frieden in dieser Stadt. Wir fassen uns an den Händen und bilden eine Menschenkette — von der gewalttätigen taz zu den Kriegshetzern im Axel-Springer-Haus. Prädikat: Besonders gewaltfrei. Ein fröhliches Lied auf den Lippen, das uns das Böse in der Welt vergessen läßt. Walter Momper mitten unter uns, so ganz als Mensch. Und noch mal: Keine Gewalt!!! Für Krieg und Gewalt lassen sich schließlich auch keine Schuldigen benennen, das ist mehr so ein böses Naturereignis, da kann mensch nur betroffen sein und vielleicht beten. In Klaus Hartung ist wahrscheinlich auch nur der Teufel gefahren, als er uns in der taz-Sondernummer die Parteinahme für die Yankees nahelegte.
Deshalb nehmen wir natürlich keine Farbeier mit, um sie eventuell auf eins der beiden Objekte zu werfen (nein, nein). Auch keine Trillerpfeifen (könnte Leute erschrecken oder noch schlimmer — aufschrecken). Und nur weiße Transparente (es besteht sonst die Gefahr der Bombardierung anderer Menschen mit einseitigen Positionen, und dann kommt Momper vielleicht nicht). Das einzige Problem, was noch besteht, ist, daß die taz und das Axel-Springer-Haus auf verschiedenen Straßenseiten liegen. So ist die Gefahr nicht ganz von der Hand zu weisen, daß eine Menschenkette zwischen beiden Gebäuden den Straßenverkehr blockieren könnte und damit die Normalität, die trotz des schrecklichen Krieges in dieser Stadt noch herrscht, gestört wird. Ist es nicht auch Gewalt, andere Menschen, die trotz Smoggefahr noch Auto fahren möchten, daran zu hindern? Laßt uns dieses Problem gemeinsam lösen! UnterstützterInnen: »Initiative Aufhören, Auf-
hören«; Aktionsgruppe Steine für den Frieden;
Bündnis »Es ist alles so schrecklich«; Gruppe
Reuiger Atonomer — Gewaltfreiheit Jetzt;
Symp. d. Rev. Defätisten; ASTA TÜV-Berlin.
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