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Die Lust auf nackte Ärsche

■ »BilderLust« — erotische Fotografien aus der Sammlung Uwe Scheid im Alten Museum

Vor sieben Jahren erwarb ein Mann, der sich bis dahin nur als Sammler von Objekten zur Geschichte der Fototechnik einen Namen gemacht hatte, eine Stereo-

Daguerreotypie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und die unbekleidete Pariser Schönheit, die sich auf dieser Aufnahme dem Mann, der auch heute noch Uwe Scheid heißt, fein koloriert und scheinbar vollplastisch entgegenstreckte, ließ seine Lust an Kameras und Objektiven schwinden. Scheid kaufte fortan alles, was seit der Erfindung der Fotografie an Erotischem abgelichtet wurde und ihm gefiel.

Glanzstücke seiner Sammlung sind seit Donnerstag im Alten Museum zu besichtigen. Ein Bericht

von André Meier

Bei dieser Vernissage war alles anders. Schon der Garderobier im Alten Museum begrüßte die Gäste, die ihm ihre Mäntel entgegenstreckten, so, als wären sie zu seiner Silberhochzeit geladen. Dabei waren es doch nur wieder all jene, die sich auf als Kunstausstellungseröffnungen getarnten Gelagen genauso oft gegenüberstehen wie die ArbeitnehmerInnen des Kabelwerks Oberspree in ihrer Betriebskantine.

Kein mürrisches Gesicht für die Kunstmafia, die mit ihrer Klatschsucht den guten Mann im Kittel zu Überstunden nötigt, nur nette Worte und ein breites Grinsen. Auf seinem Tisch lag ein Buch, hinter dessen Cover er gleich wieder verschwand, kaum daß die Mäntel am Haken und die Garderobenmarken an den Fingern der Besucher hingen. Man oder frau sah nur noch eine mit Blumen überstreute Blondine, die ihre nackten Beine streckte, und es war klar, daß es diesmal weder die kollektive Golfkriegssorge noch ein Rest der berüchtigten DDR-Bürger-Wärme war, die hier die Distanz schwinden ließ.

Der Mann wachte vielmehr am Eingang einer Ausstellung, die ihm, wie ihr Katalog, zu gefallen schien. Und er hat recht. Denn allein der mit BilderLust betitelte Hochglanzband zur gleichnamigen Exposition ist mit seinem Preis von nur 29,80 DM den Weg in den Schinkel-Bau Unter den Linden wert. Auf 200 und zum großen Teil farbigen Seiten präsentiert Uwe Scheid seine Sammlung erotischer Fotografien, die nach der Ausstellung in Berlin noch in Dresden, Köln und Hamburg zu besichtigen sein wird.

Auch in den Hallen des Museums ein ungewöhnliches Bild: Dort, wo man gewöhnlich bei derartigen Anlässen mit dem Rücken zur Kunst plaudernd dem Sekt huldigt, blieb es diesmal leer und still. Wie in einer Briefmarkenausstellung zogen die Gäste allein und langsam an den Werken vorbei. Nur daß bei Scheids Besitztümern keine Zacken zu zählen waren.

Scheid, der seit 1984 Aufnahmen dieses Genres sammelt, ist ein Gourmet. Und so ist die Ausstellung im Alten Museum auch keine Chronologie, kein strenger Marsch durch die Geschichte der Aktfotografie. Da die Idee zu dieser Schau bis in die Ära Modrow zurückreicht, beginnt sie mit einer höflichen Reverenz an die angeschlossene Kunstlandschaft DDR. Dem Ostberliner Kunsthistoriker Ulrich Domröse, der als Kurator den westdeutschen Sammler bei der Auswahl unterstützte, ist es zu danken, das hier nicht irgend etwas, sondern Schlüsselwerke der DDR- Aktfotografie zu sehen sind. Tina Baras Porträt Ulrike und Gundula Schulzes Aufnahme aus dem Tamerlan-Zyklus sperren sich gegen eine auch durch die einzige für Aktaufnahmen empfängliche DDR-Kulturzeitschrift 'Magazin‘ geprägte Haltung.

Für beide Künstlerinnen sind die Modelle nicht Objekte, deren Verdienst allein darin bestünde, daß ihre Körper im Windkanal des als erotisch allgemein Verbindlichen nicht auf Widerstand stoßen. Sie respektieren ihr Gegenüber als Subjekt und dessen Körper als selbstverständlichen Teil der Persönlichkeit. Doch nur wenige Werke der Sammlung Scheid fühlen sich, wie die Aufnahme eines alten Liebespaars des Schweden Jan Bengstson, einer ähnlichen Auffassung verpflichtet.

Das würde wohl auch den Intentionen des Sammlers zuwiderlaufen, der die Besucher zu einem »Streifzug durch den Garten der Lüste« einlädt und in seinem Geleitwort bemerkt: »Daß in meiner Sammlung Darstellungen des unverhüllten weiblichen Körpers weitaus dominieren, liegt einerseits an meiner Intention als Sammler, aber natürlich auch daran, daß Photographen dem ‘Lustprinzip‚ folgten und immer schon aus eigenem erotischem Interesse überwiegend weibliche Schönheiten nackt ablichteten.« So ruht sein Augenmerk auch auf einer Zeit, in der die Fotografen noch ungebrochen und bar aller feministischen Aufklärungsschriften ihrer und der Lust ihrer Kunden frönten. Die Aktfotografie gehörte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso wie das Bordell zu den Instrumenten, mit deren Hilfe sich eine prüde artikulierende Männergesellschaft ihrer aufgestauten Emotionen entsorgte.

Zwar war der Vertrieb derartiger Darstellungen anfänglich offiziell verboten, doch etablierten sich schon ab 1850 in Paris, im Zentrum der erotischen Fotografie, die ersten Versandhäuser. Sie belieferten ihre Kunden mit Darstellungen unterschiedlichsten Zuschnitts: von der schwach entblößten Naiven bis zum ungezwungen verkehrenden Paar. Da der Preis für derartige Daguerreotypien etwa ein Dreifaches des Tagelohns eines Pferdebusschaffners und die Belichtungszeit bei dem vom Franzosen Daguerre entwickelten Verfahren einige Sekunden betrug, ist die Zahl der von Scheid zusammengetragenen Exponate erstaunlich.

Während bei diesen frühen Werken der oder die Körper noch in eindeutigen Posen von der Kamera eingefangen werden, beginnt am Ausgang des 19. Jahrhunderts der Künstler im Fotografen die Szenen zu arrangieren. Mythologische Themen werden kunstvoll ausgestaltet, und einem von der Antike geprägten Körperideal wird gehuldigt. Wilhelm von Gloeden und Guglielmo Plüschow folgen in ihren Bildern Winckelsmanns Weg nach Hellas auf homoerotischen Pfaden. »Die Lust auf Männerärsche«, die Hans Eppendorfer in seinem Katalogbeitrag beschwört, ist hier als Lust auf Knabenhintern zu weichgezeichneten Träumen geronnen.

Die Fotografie des 20. Jahrhundert ist in Scheids Sammlung mit ihren wichtigsten Namen vertreten: Moholy-Nagy, Man Ray, Hans Bellmer oder Helmut Newton. Doch sie, so scheint es, sollen hier nur des Sammlers Intentionen kunsthistorisch flankieren, dessen Aufmerksamkeit weniger dem künstlerischen Experiment als der Glamour-Fotografie jener Jahre gehört. Aber schließlich kann ein jeder sammeln und anschauen, was er will.

Die Ausstellung BilderLust im Alten Museum ist noch bis zum 17. März zu sehen. Anschließend wird sie in der Galerie Rhänitzgasse in Dresden gezeigt.

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