: Kein Entrinnen vor CNN
■ Die Kriegsberichterstattung ist allgegenwärtig
Woodstock (7. Kriegstag) — Es gibt noch einen CNN-freien Ort in Amerika, an dem man von der Golfberichterstattung des kriegsgewinnlerischen Kabelkanals verschont bleibt: das Auto. Doch selbst auf der Fahrt von New York City Richtung Norden werden die Exklusivberichte des letzten westlichen Journalisten im Irak von den Radioreportern zwischen Washington und Dhahran geduldig wiedergekäut. Und Peter Arnett, „unser Mann in Bagdad“, ist selbstverständlich ein CNN-Produkt: ein Medium der absoluten Überparteilichkeit, die postmoderne Inkarnation von Christopher Isherwoods unbestechlichem (?) Auge: „I am the Camera, I am CNN“.
Aber dann, nach 2 1/2 Autostunden, erwischt es mich doch wieder. Schon beim Betreten der „Kingston Plaza Bar“ weiß ich, daß dieser Pausenkaffee ein Fehler war. Vier Fernsehschirme flimmern auf die Stammgäste an der Bar herab. Selbst auf der riesigen Filmleinwand im Rückraum der Kneipe steigen mit CNN nun amerikanische Kampfflugzeuge zu ihrem 10.000sten „Bombenausflug“ in die Lüfte. Jeff zu meiner Linken und Frank, der rechts von mir sein Bier schlürft, blicken unbeteiligt auf den Bildschirm wie auf einen Zeichentrickfilm. Erst beim nächsten Kriegssegment von „War in the Gulf“ werden die beiden aufmerksam. „War tax. Fragezeichen“, wird da mit dicken Lettern der nächste Bericht des Korrespondenten aus dem Weißen Haus, Frank Sesno, angekündigt. Und der hat „bad news“, nein keine Toten, noch viel schlimmer: Nach den jüngsten Schätzungen über die voraussichtlichen Kriegskosten von 82 Mrd. Dollar will der US-Kongreß nun über eine „Kriegssteuer“ debattieren. Und dies in einem Land, dessen einzige Revolution mit der „Boston Tea Party“ immerhin eine Steuerrevolte war. „Das mußte ja so kommen“, seufzt Jeff. Aber irgendwo, sagt der CNN-Mann vom Bildschirm herab, muß das Geld ja herkommen. 13 Mrd. Dollar an Israel, während sich die Deutschen weiter knauserig geben. Frank Sesno von CNN weiß, daß dieser Geiz der Germans einigen im Weißen Haus ganz nett stinkt. „Ja diese Deutschen“, murmelt auch Jeff, „die wissen wie man's macht. Die werden bis zum letzten Amerikaner kämpfen“.
Zurück im Auto, auf der Fahrt ins benachbarte Woodstock: Im Radio erzählt die Mutter eines 19jährigen Soldaten wie sie mit der Angst um ihren Sohn an der Front fertig wird. Ob sie sich die Fernsehberichterstattung denn überhaupt noch ansehen könne, will der Moderator wissen. „Ja“, sagt die Mutter, „ich muß das sehen. Bei uns ist CNN jetzt das jüngste Mitglied der Familie“.
Im „Woodstock Cafe“ in der Tinker Street wieder das gleiche Bild. Stumm hocken die Stammgäste vor dem geräuschlosen TV. Krieg als visuelles Erlebnis nach Feierabend. Feuerwerk von Scud- Missiles und Patriot-Abwehrraketen über Saudi-Arabien, freigegeben von den britischen Militärbehörden. Feuerwerk auch über Tel Aviv, mit freundlicher Genehmigung der israelischen Regierung.
Dann die schriftliche Einblendung einer Eigenwerbung von CNN. „Halten wir die Traditionen unserer Demokratie lebendig! Äußern Sie Ihre Meinung über den Golfkrieg! Rufen sie an, nicht später, nein jetzt sofort: 1 800...! Nur 1,50 Dollar pro Anruf!“ Zwar nicht gerade das, was sich die Gründerväter beim Entwurf der Verfassung unter „freier Rede“ vorgestellt hatten; aber immer noch besser als die totale „couch potatoe“ — der Bürger, der völlig ausdrucks- und kommunikationslos im Fernsehsessel zuerst Wurzeln schlägt und dort schliesslich verrottet. Noch ist dieser Golfkrieg für ein paar Wochen Unterhaltung gut. Der Gewinner steht allerdings schon heute fest: CNN. Rolf Paasch, Kingston
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