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Migration auf der Tagesordnung

Internationale Konferenz über Ost-West-Wanderung in Wien beendet/ Wirtschaftliche Entwicklung und Demokratisierung in Osteuropa Voraussetzung für Beschränkung der Migrationsbewegungen  ■ Aus Wien Kostas Argiros

„Tatsächlich sind die Interessen der verschiedenen Länder nicht unbedingt miteinander vereinbar... Eine einheitliche Antwort wird es sicherlich nicht geben!“ hatte Catherine Lalumière, Generalsekretärin des Europarates, am Donnerstag zur Eröffnung der Ministerkonferenz über die Wanderungsbewegungen aus mittel- und osteuropäischen Ländern festgestellt. Nach den politischen Veränderungen in diesem Teil Europas sind Migration und Einwanderung die Worte der Stunde geworden.

Daß das zweitägige Treffen, an dem Delegationen aus 34 Ländern und von internationalen Organisationen wie EG, Efta, OECD, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und des UNO—Hochkommissariats für Flüchtlingsfragen (UNHCR) teilnahmen, stattgefunden hat, war nicht so selbstverständlich. „Der Golfkrieg überschattet alles“, sagte ein Delegierter. „Außerdem bereitet schon das Wort ,Migration‘ vielen von uns schlaflose Nächte.“ Schon vor Ausbruch des Krieges am Golf rechneten UN-Experten mit einer Wanderung von etwa 25 Millionen Menschen aus der Dritten Welt nach Europa.

Im Mittelpunkt der Konferenz aber standen dann doch die Migrationsbewegungen aus Ost- und Mitteleuropa. Mit fünf Millionen Reiseanträgen rechnete der sowjetische Minister für Arbeit und Soziales, Scherbakow, wenn im Februar das sowjetische Parlament das neue Paß- und Ausreisegesetz behandelt haben wird. Allerdings schätze er, daß nur 1,5 bis zwei Millionen Reisen tatsächlich durchgeführt werden. Einstimmig fast betonten alle Seiten in Wien, daß eine Regulierung der Wanderungsbewegungen eine immense Anstrengung zur wirtschaftlichen Entwicklung und Festigung der Demokratie in den östlichen Ländern voraussetzt. Dabei mangelte es nicht an Kritik an den sowjetischen Rückschritten auf diesem Gebiet. Gleichzeitig tauchte ein neuer Aspekt des Problems auf. Nämlich die Sorgen einiger „Reformländer“, daß auch sie Ziel einer großen Zahl von Asylsuchenden werden könnten. Die Wirtschaft Ungarns muß sich schon mit mehr als 40.000 Zuwanderern auseinandersetzen. Vor ähnlichen Zuständen fürchten sich viele auch in der CSFR. Außenminister Jiri Dienstbier gab zu, daß so etwas möglich sei, fügte aber hinzu, daß er persönlich „nicht an ein katastrophales Szenario“ glaube. Dabei versicherte er, daß sein Land trotz alledem beabsichtige, seine Grenzen offenzuhalten. Weniger beruhigt klangen die Worte des griechischen Ministers für Öffentliche Ordnung, der darauf hinwies, daß in den ersten 20 Tagen dieses Jahres 13.000 Albaner die Grenzen nach Griechenland überschritten hätten. Als der türkische Vertreter sein Land als ein Musterasylland skizzierte, schwiegen die restlichen Delegierten über Probleme wie das der kurdischen Minderheit im Lande sorgfältig.

Kritische Bemerkungen hinsichtlich der Menschenrechtslage richteten einige Redner dagegen an Jugoslawien und Rumänien. Dabei schien die Tatsache in Vergessenheit zu geraten, daß im vorigen Jahr 10.000 Rumänen nur in letzter Minute dem Schicksal einer Zurückweisung aus Österreich entgangen sind. Vielleicht aus Dankbarkeit für die Gastfreundlichkeit des Landes, das außerdem einer der Hauptinitiatoren dieser Konferenz war. Das Kommuniqué, das zum Abschluß der Konferenz verabschiedet wurde, geriet dann auch zu einem unverbindlichen Dokument, in dem oft genug von Wünschen und guten Absichten die Rede ist. Schwerpunkte darin sind die Forderung der Kompatibilität der nationalen Migrationspolitiken, die strikte Trennung zwischen „echten“ politischen Flüchtlingen und Auswanderern, die Harmonisierung der Visum- und Asylregelungen, die Kooperation bei der Bekämpfung illegaler Einwanderer, Maßnahmen zur Reintegration der Heimkehrenden.

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