piwik no script img

Das Raunen der Konzepte

■ „Interferenzen“-Ausstellung in der Kunsthalle / Zehn Bremer KünstlerInnen dürfen die Würde der Sammlung stören

Interferenz: Wellen überlagern sich derart, daß sich die Amplituden verstärken oder abschwächen. Im äußersten Fall heben sich die Wirkungen auf, passiert Null, es wird finster. Mit dieser Gefahr müssen AusstellungsmacherInnen leben, die ihre Ausstellung „Interferenzen“ nennen.

Man ahnt sofort und zurecht, daß sich hinter den Bremer „Interferenzen“ in der Kunsthalle ein anspruchsvolles Konzept verbirgt. Immerhin will sich die „Kuratorin“ Ulrike Lehmann, die zum 31.Januar gegangen wird, nachdrücklich in die Annalen der Kunsthalle eingraben, und wie ginge das besser als mit der Strategie, die würdige Sammlung des Hauses mit den Spitzen der Avantgardekunst Bremens zu erschrecken. Hautnah. Zehn KünstlerInnen gegen die Gemächlichkeit: das muß zu den abenteuerlichsten Interferenzmustern führen. Tafelbild und Sockelkunst versus ausgedachteste Konzepte, das bringt Leben in die Bude.

Harald Falkenhagen hängt Lucas Cranach u.a. hoch bis unter die Decke, ei was wird die konsumorientierte Kunstbetrachtung irritiert. Im übrigen ein lobenswerter museumspädagogischer Ansatz!

Norbert Schwontkowski, Erfinder und Bewohner des laboratory of space & time, einer Hilfskonstruktion für Kunstproduktion, erklärt erwartungsgemäß die ganze Kunsthalle zum laboratory vermittels eines kleinen Schildes eingangs, über den Öffnungszeiten. Mit dem Jacopo del Casentino-Altärchen (1336) interferiert Peter-Jörg Splettstößers „ohne Titel“, ein Nullsummenspiel: Wo das Altärchen bescheiden, da birst der Splettstößer vor Konzept (als Diptychon denk-, als Triptychon halluzinierbar, Volumengleichheit bei Flächendopplung, die Potenz des Potenziellen u.s.f.).

Bert Haffke, für seine Kreisobjekte bekannt, gelingt die witzigste Interferenz, hier mit Verstärkereffekt: Er projiziert auf die blicklose „Psyche“, eine Skulptur von Steinhäuser, ein Augenpaar und treibt sein schaurig' Augenspiel mit uns. Man darf das Ergebnis getrost unter „Verfremdung“ ablegen und muß nicht tief sinnen.

Aber bei Horst Müller: Da sollte man tunlichst die füllige Literatur zum Thema „Der Spiegel seit der Renaissance“ lesen, bevor man seinen Konzepten zu nahe tritt oder seine Objekte übersieht. „Bodenstück“ etwa spiegelt ein Objekt, dessen Zwilling sich auf der Rückseite des Spiegels befindet. Die Wahrnehmung rätselt: Spiegel oder Glas? Himmel, kein optischer Gag! Zumindest geht es um Schein und Sein und Unendlichkeit. Übrigens liegt hier ein Grenzfall der Interferenz vor: Die Wellen tun sich auch in der Unendlichkeit nichts.

Achim Manz hat (ohne erkennbaren Bezug zur Kunsthalle) seine Betonplastiken neben der großen Treppe aufgestellt, dysfunktionale Spielstätten; ein begehbarer Betonsockel im hinteren Teil, mannshoch, scheint unwiderruflich angebracht. Treppchen lassen über Auf- und Abstieg meditieren, über Unverrückbarkeit, etc. Marikke Heinz-Hoek und Constantin Jaxy haben die Lichtdächer fasziniert: Letzterer brachte mit „Gedankenbrücke“ seine Hafenästhetik mit; die Videokünstlerin, die uns im Foyer mit Bild und Ton vom Leipziger Bahnhof traktiert, hat andererseits die Glasdächer gefilmt, auf einem geborgten Sockel zeigt ein Watchman das Ergebnis. Thema: Licht. Interferenzmuster: undeutlich.

Die kleine Installation von Marikke Heinz-Hoek befindet sich unten in den Räumlichkeiten der Wechselausstellungen; dort sind alle KünstlerInnen noch einmal zu einer klassischen Gruppenausstellung vereint mit Arbeiten, die man überwiegend schon einmal sehen konnte. Hier ist viel Platz für Selbstinszenierung, unsere Augen haben — das Raunen der Konzepte ist ferner — ihre Chance. Hier begegnet man Wolfgang Michael mit seinem Wachs- Lehm-Gummi-Konstrukt, einem Architekturreflex; und hier entfalten sich auch die Fotografien von Tine Herrmann in voller Pracht, einerseits ihre „verwackelten“ Großformate, optische Fallen, andererseits ihre Inselserie „Anse Victorin“, ein Kleinpanorama mit Palmenwedeln. Hyperscharf, suggestiv-körperlich.

Übrigens hat Hajo Antpöhler zu einer Reihe von Bildern der Sammlung sich Texte einfallen lassen, das sind Gesänge; und Li Portenlänger nimmt für ihre Performance „Abenteurer die Treppe herabsteigend“ einen Reiter von Böcklin aus dem Bild (später als Video zu sehen). Es erscheint ein Katalog, d.h. zehn Kataloge im Schuber, von unterschiedlicher Genießbarkeit, aber formal superb. Er ermöglicht z.B., die Manzschen Betonarbeiten im Maßstab 1:10 nachzubauen. (49 DM)

Nehmen wir es als Kunsthallenstörung; als Neusehreiz; als Chance für Bremer Kunst; als Standortbestimmung; als Exemplum für Frau Lehmanns NachfolgerIn. Nehmen wir „Interferenzen“ als Titel und gut, der Schaum der Konzepte paralysiert sich selbst. bis 10.MärzBurkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen