: Die „Madonna“ und der Krieg
Japans Frauen gegen die Nahost-Politik ihrer Regierung/ Premierminister Kaifu kuscht vor US-Druck, Oppositionsführerin Doi sorgt für Unruhe im Parlament/ Immer wieder stolpert Japans Regierung über die Frauenbewegung ■ Aus Tokio Ch.Yamamoto und G.Blume
Sie ist nicht die Japanerin, die westliche Kulturfreunde so gerne verehren. Denn sie ist selbstbewußt und gibt ihr Lächeln nicht gratis frei. Kazuko Takahashi — perfekte Frisur, eleganter Lederanzug, Pariser Handtasche — hat sich diesmal aufgemacht, der Welt ihre Meinung zusagen.
„Wenn sich buddhistische Mönche oder Frauen ins Weltgeschehen einmischen, dann geschieht bald ein Unglück“, warnt sie mit einem alten japanischen Sprichwort. Doch hoch oben auf dem Lautsprecherwagen der sozialistischen Partei, dem Kazuko Takahashi und dreihundert weitere Frauen in meist mittlerem Alter durchs Tokioter Regierungsviertel folgen, prangt in großen Buchstaben: „Die Kraft der Frauen ändert die Politik.“
Unter den grimmigen Augen polizeilicher Hundertschaften hält die kleine Frauenschar in abendlicher Dunkelheit ihren Kurs aufs Parlament. Dort treibt der Nahost-Krieg die Wogen hoch. Zum ersten Mal seit Ausbruch der Feindseligkeiten trägt Premierminister Toshiki Kaifu an diesem Freitag abend eine Regierungserklärung vor. Er spricht von Japans „natürlicher Pflicht, einen positiven Beitrag zu leisten“ und meint damit neun Milliarden Dollar, die das Land den USA zur Führung des Krieges zahlen will.
„Viele Japaner sind gemeinsam mit ihrer Regierung verschüchtert worden“, analysiert Kazuko Takahashi zeitgleich draußen vor dem Parlament. „Wenn die USA Druck machen, dann wissen hier viele nicht mehr weiter — Kaifu schon gar nicht.“ Die Worte der Frau scheinen sich wenig später in der Rede des Regierungschefs zu bestätigen.
Toshiki Kaifu verteidigt nun die Regierungsentscheidung, japanische Militärflugzeuge zum Flüchtlingstransport in die Golfregion zu entsenden. „Ich bin zuversichtlich, daß sich solch humanitäre und nicht- militärische Verantwortlichkeiten mit unserer Verfassung vereinbaren lassen.“
Ganz offensichtlich hat sich der Regierungschef in dieser politisch hochbrisanten Frage noch keine abschließende Meinung gebildet. Drei junge Studentinnen, die mit vors Parlament gezogen sind, aber raten ihm: „Diese Flugzeuge dürfen nicht fliegen.“ Warum? „Weil diese Entscheidung bisher ohne das Volk gemacht ist, und weil sie unsere größte Lehre aus der Geschichte, nie wieder Krieg zu führen, in Zweifel ziehen würde.“
Damit äußern sie das zentrale Anliegen der Tokioter Protestlerinnen, die nun endlich das Parlament erreicht haben. Dort erwartet sie nicht mehr nur die Polizei.
Zum Empfang vor dem Parlament stehen tatsächlich eindrucksvolle dreißig Abgeordnete der Oppositionsparteien Kulisse. Sie tragen die offiziellen Parteibinden und spenden den Demontrantinnen kräftig Applaus — allen voran auch hier die Frauen. Sechs Parlamentsfrauen der Sozialisten stehen in der ersten Reihe.
Sie ergreifen das Wort, bedanken sich für eine Petition, die die Demonstrantinnen überreichen, und versprechen Widerstand im Parlament. Kein Mann, das ist wahrlich selten in Japan, ergreift an diesem Abend vor dem Parlament das Mikrophon. Wer das nicht versteht, dem erklärt's Akiko Domoto, die frühere Fernsehmoderatorin und jetzige Abegeordnete: „Es handelt sich hier um eine Frauenbewegung, bitte begreifen Sie das, und sonst nichts weiter.“
Aber wie lächerlich verloren mutete gerade noch dieser Frauentrupp an, unter den bis in den Himmel erleuchteten Bürotürmen der Tokioter Ministerien. Und was können Frauen schon in der Männerwelt japanischer Politik ausrichten, zumal wenn es die Außenpolitik des Landes betrifft?
„Die Regierung treibt ein undemokratisches Spiel“
Akiko Domoto hat auf alles eine Antwort. „Ab Montag wird unsere Partei die Diskussion im Finanzausschuß des Parlaments führen. Dann muß das Fernsehen berichten. Nach ein paar Tagen wird ganz Japan wissen, was für ein undemokratisches Spiel die Regierung in Wirklichkeit führt. Nicht umsonst haben wir Takako Doi an unserer Spitze.“
Nippons populärste und international bekannteste Politikerin drückt am Freitag abend die Parlamentsbank und schreibt Notizen zur Regierungserklärung. Takako Doi, die Oppositionsführerin und Parteichefin der Sozialisten, wird ihre Gegenrede erst am heutigen Montag halten.
Die japanische „Madonna“, wie die Medien sie einst tauften, läßt sich auch in Anbetracht der Ereignisse viel Zeit und steht den Fernsehkameras nicht täglich zur Verfügung.
Doi weiß wohl, welch entscheidende Rolle sie spielt. „Ohne Doi Takako hätten wir die Friedensdiskussion gar nicht vors Parlament bekommen“, erklärt Akiko Domoto, die gute Freundin Dois, die wie alle sozialistischen Frauen im Parlament ihren Sitz der Chefin verdankt. Seit ein paar Jahren sind es immer wieder diese Frauen um Takako Doi, die dafür sorgen, daß in Japan nicht mehr die gleiche, ungestörte politische Ruhe herrscht.
Nippons Männer sind kriegsfreundlicher
Frauen haben erst in den Jahren nach der Katastrophe von Tschernobyl den zuvor makellosen Ruf der Atomkraftwerke im Land nachhaltig beschädigt, sie haben dann eine neue Mehrwertsteuer zum politischen Fiasko gemacht und der Regierung im Sommer 1989 ihre Mehrheit im Oberhaus gestohlen, sie haben schließlich im November vergangenen Jahres ihren bisher größten politischen Erfolg erreicht, als die Regierung ein Gesetz zur Truppenentsendung in den Golf aufgrund der landesweit überhandnehmenden Proteste zurückzog.
Damals sprachen sich in Umfragen bis zu 70 Prozent von Nippons Frauen gegen den Einsatz japanischer Soldaten im Golf aus, heute sind nach Umfragen immer noch 70 Prozent aller Frauen grundsätzlich gegen den Golfkrieg. In den gleichen Umfragen zeigen sich japanische Männer stets auffällig kriegsfreundlicher.
„Vielleicht haben sich die Männer anderswo geändert“, räumt Akiko Domoto ein, „aber besonders in Japan sind sie so rückständig wie vor 50 Jahren“. Die Abgeordnete wählt ihre Worte offenbar genau — vor 50 Jahren griffen japanische Bomber Pearl Harbour an.
Der Streit ist also eröffnet. Als bares „Wunschdenken“ qualifizierte das Hongkonger 'Asian Wall Street Journal‘ am Wochenende die Vorstellungen japanischer Regierungspolitiker, diesmal ohne Kompromisse ihre Golfpolitik durchsetzen zu können. „Frauen haben ein besseres Gefühl dafür, wenn wirklich Gefahr droht“, meint Kazuko Takahashi. Der Frieden ist in Japan Frauensache.
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